DIE STORY: „Wild“ ist die packende und tabulose Geschichte von Ania (Lilith Stangenberg), die in einer kleinen Wohnung in einem ostdeutschen Plattenbau lebt. Ihr Leben besteht hauptsächlich aus Arbeit in einer Technikfirma, in welcher der Chef Boris (Georg Friedrich) nicht eben der Sympathischste ist.
Eines Tages läuft Ania einem Wolf über den Weg – und auf einmal ist ihr schlagartig klar, dass alles bisher in ihrem Leben falsch gelaufen ist. Sie fängt den Wolf und lebt fortan mit ihm in ihrer Wohnung. Aber dieser Kompromiss hält nur eine Weile. Irgendwann muss sie die Entscheidung treffen, was sie mehr reizt: das Leben allein in der Gesellschaft oder gemeinsam mit dem Wolf außerhalb.
DIE STARS: Nicolette Krebitz („Bandits“) reicht das Etikett Schauspielerin schon lange nicht mehr. Mit schöner Regelmäßigkeit inszeniert sie aufregende Filme wie „Jeans“ oder „Das Herz ist ein dunkler Wald“. Mit „Wild“ ist ihr nun ein erster kleiner Geniestreich gelungen. Dabei überzeugen neben der guten Geschichte auch ihre irre guten Schauspieler, die Berlinerin Lilith Stangenberg („Die Lügen der Sieger“) und der Wiener Georg Friedrich („Faust“).
DIE KRITIK: „Wild“ ist ein sehr schön kurzer, aber enorm zutreffender Titel. Denn Nicolette Krebitz hinterfragt in dieser Zivilisations-Studie perfekt, was uns genau an dem Platz in der Gesellschaft hält und was passieren muss, das Wilde in uns zu wecken und zu entfesseln.
„Wild“ erzählt von einem merkwürdigen Platz namens Halle Neustadt. Dort – am Rande von Sachsen-Anhalt (das Schmuckkästchen Leipzig ist gerade mal 20 Kilometer entfernt) – wohnen Tausende Menschen seit DDR-Zeiten in der „Platte“. In Hochhäusern, die eigenartig gesichtslos wirken.
Dort lebt auch Ania (Lilith Stangenberg spielt wieder einmal hinreißend den Spagat zwischen Unschuld und Biest). Ein graues Mäuschen, das zwischen den Plattenbauten überhaupt nicht auffällt. Und auch in der Firma ihres Chefs Boris (Georg Friedrich agiert diesmal angenehm zurückhaltend und nur ein kleines bisschen ausgetickt) scheint sie alles hinzunehmen, was da kommt. Als IT-Spezialistin macht sie ihre Arbeit so unaufdringlich wie irgend möglich.
Diese junge Dame hat ihr Erweckungserlebnis, als aus den Wäldern, die es tatsächlich rings um Halle gibt, ein Wolf in die Zivilisation kommt. Ania ist wie vom Donner gerührt, als sie ihm zum ersten Mal in die Augen schaut.
„Wild“ schildert packend – man weiß nie, was als nächstes passieren wird –, wie sich Ania dem Tier (in sich) und dem Wolf stellt. Sie fängt den Wolf, bringt ihn in ihre Wohnung. Dort erträumt sie sich einen Gefährten (eine wunderschöne Traumsequenz jenseits aller Anrüchigkeit) und versucht das Unmögliche: ein Leben von Mensch und Tier innerhalb unserer stark reglementierten Gesellschaft.
Wunderbar, wie wenige Mittel Nicolette Krebitz braucht, um das Wunder zu illustrieren. Weder übertriebene Spezialeffekte noch ein Himmel voller Geigen sind hier vonnöten. Einfach eine saugute Regie und tolle schauspielerische Leistungen von Tier und Mensch reichen aus. Man versteht als Zuschauer, was Ania hier erlebt hat. Das ist die Chance ihres Lebens, endlich auszubrechen aus der Mittelmäßigkeit.
Ania muss sich entscheiden, da die Nachbarn ihren Gast nicht mögen. Wie sie sich entscheidet, das ist kompromisslos und sorgt im Kopf des Zuschauers noch lange Zeit für Bilder im Kopf. Bei der Premiere des Films in Sundance tauchte immer wieder der Vergleich auf: Ein Film, wie früher bei Fassbinder. Stimmt!
IDEAL FÜR: Kinogänger, die nicht immer nur Mainstream sehen möchten. Hier sind Aufregung und ein kleines bisschen Skandal angesagt!