DIE STORY: „Whiplash“ ist ein elektrisierendes Drama über Talent, Musik und (psychische) Gewalt, das in der Welt des Jazz spielt.
Im Zentrum der Handlung steht der 19-jährige Schlagzeuger Andrew (Miles Teller), der mit dem Ehrgeiz antritt, „einer der ganz Großen“ seines Fachs zu werden. Die Aufnahme in die berühmteste Musikschule von New York hat er schon geschafft. Als er dort eingeladen wird, in die Bigband einzutreten, scheint er am ersten Ziel seiner Träume angelangt.
Alles paletti also? Weit gefehlt. Andrews neuer Lehrer Fletcher (J.K. Simmons), der Bandleader, entpuppt sich zwar als Musiker von Gnaden – aber auch als hemmungsloser Sadist. Auf der Suche nach dem perfekten Klang quält er seine Schüler bis aufs Blut.
DIE STARS: J. K. Simmons war viele Jahre lang ein erster Mann für die zweite Reihe Hollywoods. Er adelte viele Nebenrollen in „Spider-Man“, „Gottes Werk und Teufels Beitrag“ oder „Up In The Air“. Mit der virtuosen Bösartigkeit seines Fletcher steht er endlich im verdienten Rampenlicht. Simmons gewann für „Whiplash“ erst einen Golden Globe und jetzt auch noch den Oscar.
Miles Teller („Footloose“ 2011, „Divergent“) ist eines der großen Talente des US-Kinos. Für die Rolle des Dummers Andrew war er allein deshalb prädestiniert, weil er seit seinem 15. Lebensjahr Schlagzeug spielt.
Der Autor, Regisseur und Jazz-Liebhaber Damien Chazelle, 30, realisierte die „Whiplash“-Story zunächst als Kurzfilm. Als er damit in Sundance einen Preis gewann, konnte er das Budget für den Spielfilm aufstellen, der beim Sundance Festival 2014 mit dem Großen Pries der Jury ausgezeichnet wurde.
DIE KRITIK: „Wenn du nicht genug übst, musst du in einer Rockband spielen“. Dieser unter Jazzern beliebte Satz taucht irgendwann in „Whiplash“ auf. Andrew, die Hauptfigur, will üben. Er hat sich einen der größten Jazz-Dummer aller Zeiten zum Vorbild genommen: Buddy Rich (wem der Name nix sagt: bitte auf YouTube suchen und dann mit den Ohren schlackern). Andrew ist so besessen, dass er für die Musik sogar seine Beziehung opfert. Nur dieser Fletcher steht ihm im Weg.
Anfangen – Kopf schütteln – stoppen. Anfangen – Kopf schütteln – stoppen. Wenn Fletcher vor seiner Bigband steht, braucht es oft keine zwei Sekunden, bis ihm etwas missfällt. Für uns Zuhörer scheint der Sound des Jazz-Orchesters brillant zu klingen – der Glatzkopf Fletcher findet immer ein Haar in der Suppe.
Dann rastet er aus. Dann brüllt er seine Eleven an. Er beschimpft sie, er stößt Obszönitäten aus. Er schmeißt mit Gegenständen um sich – und schmeißt die Studenten beim kleinsten Gickser raus (oder begnadigt sie wieder). J.K. Simmons spielt den Diktator der Klänge mit beängstigender Virtuosität: Dieser Fletcher ist ein Monster. Ein zügelloser Sadist, der aber Anspruch darauf erhebt, von den Studenten geliebt zu werden.
Spätestens nach der dritten Wutausbruch-Szene ist „Whiplash“ (der Film trägt den Titel eines bekannten Jazz-Tunes) kein reiner Musikfilm mehr. Dann schweifen die Gedanken des Betrachters automatisch ins eigene Erleben ab. Denn fast jeder kennt Lehrer, Vorgesetzte oder gar Eltern, die der Meinung sind, dass Erziehung nur dann funktioniert, wenn man die Zöglinge ordentlich karniefelt.
Kann ein Mensch sein Talent entfalten, wenn er immer nur hört, zu unfähig, zu blöd, zu dumm zu sein? Nicht wenige Erziehungsberechtigte scheinen diese Frage zu bejahen. Ihre Schutzbefohlenen sagen fast ausnahmslos nein.
„Whiplash“-Regisseur Damien Chazelle lenkt das Thema seines Films fast unmerklich auf diese Fragen. Der erhobene Zeigefinger bleibt dabei verborgen – die Protagonisten brauchen schließlich alle Finger zum Musizieren.
Gerade im Kreativbereich der Kunst scheint die Erziehung durch Beschimpfung eine besonders absurde Idee zu sein. Fletcher kriegt die ihm anvertrauten Talente alle klein. Auch Andrew. Der trommelt, bis ihm das Blut von den Fingern tropft. Doch irgendwann ist er gedemütigt genug, um sein Schlagzeug in die Ecke zu schmeißen.
Bis – ja bis der Film zu einem spannungsgeladenen Ende findet. Zu einem typischen Showdown Mann gegen Mann. Hier allerdings ohne Waffen, dafür mit Musik. „Wiplash“ ist der einzige mir bekannte Film, der sich traut, ein etliche Minuten langes Schlagzeugsolo ins Finale einzubauen.
Wenn die Trommeln dann schweigen, mag man als Zuschauer nur noch in Applaus ausbrechen. „Whiplash“ ist ein phänomenaler Film, für dessen Genuss man kein Jazz-Fan sein muss. Man könnte aber einer werden.
IDEAL FÜR: Freunde guter Musik in höchst dramatischer Umgebung.