GESAMTEINDRUCK: Regisseurin Ruth Beckermann schuf mit „Waldheims Walzer“ einen analytischen Rückblick auf die Waldheim-Affäre des Jahres 1986, die Österreich zur Konfrontation mit seiner Position in der Nazi-Diktatur zwang.
DIE STORY: Der Film beginnt mit SW-Aufnahmen von Anti-Waldheim-Demonstrationen 1986, die Ruth Beckermann damals selbst drehte. Dann geht’s rasch weiter in die Analyse und die Chronologie. Die Regisseurin montiert heimisches und internationales Videomaterial aus jener Zeit zu einer packenden Collage: Wie der Ex-UN-Generalsekretär Kurt Waldheim zum Bundespräsidenten Österreichs werden wollte. Wie er im Wahlkampf fast über die Lücken in seiner Biografie während des Zweiten Weltkriegs stolperte. Und wie die Waldheim-Debatte dazu führte, dass sich Österreich von der Illusion verabschiedete, „Hitlers erstes Opfer“ gewesen zu sein.
DIE STARS: Die Wienerin Ruth Beckermann drehte 1977 mit „Arena besetzt“ ihren ersten Dokumentarfilm. Seither hat sie sich mit Werken wie „Jenseits des Krieges“, „American Passages“ oder „Die Geträumten“ als international renommierte Filmemacherin etabliert. „Waldheims Walzer“ wurde als Österreichs Beitrag für die Oscars 2019 in der Kategorie des besten fremdsprachigen Films nominiert.
DIE KRITIK: Es war ein tiefer Fall. Als „Österreicher, dem die Welt vertraut“ stieg Kurt Waldheim 1986 in den Präsidentschafts-Wahlkampf ein. Zehn Jahre lang hatte er als UN-Generalsekretär die Vereinten Nationen gelenkt. Eine Grußbotschaft von ihm wurde 1977 an Bord der Raumschiffe Voyager 1 und 2 in die Weiten des Weltalls geschickt, wo sie bis heute unterwegs ist. Waldheims Selbstbildnis aus seiner UN-Zeit: „Ich bin die letzte Instanz. Der Vater der Familie der Menschen.“
Doch plötzlich wollte die Familie den Vater nicht mehr. Erst verhinderte China, dass Waldheim eine dritte Amtszeit als UN-General bekam. Und dann, als er seine Kandidatur für die Präsidentschaft im kleinen Österreich verkündete, begannen Journalisten dies- und jenseits des Atlantiks über Waldheims Vergangenheit zu recherchieren. Denn was die Kriegsjahre 1942 bis 1945 betraf, gähnte dort ein schwarzes Loch.
Es stellte sich heraus, dass der Wiener in Wehrmachtseinheiten in Südosteuropa gedient hatte, die mit Kriegsverbrechen in Verbindung gebracht wurden. Die Enthüllungen verfehlten ihre Wirkung nicht: Die Waldheim-Affäre hatte begonnen.
All diese Ereignisse bilden den Rahmen von Ruth Beckermanns Film „Waldheims Walzer“. Die Regisseurin füllt den Rahmen mit sorgsam arrangierten Videobildern, seinerzeit großteils von TV-Kameras eingefangen, die den Kandidaten, seine Kritiker und auch seine Unterstützer ins Bild rücken. Auf eine Weise, die einen manchmal irritiert (wenn Waldheim seinen Kriegsdienst als „ganz normale, korrekte, anständige Tätigkeit“ bezeichnet) und manchmal erschrocken frieren lässt (wenn ein Wiener Passant auf der Straße seinen radikalen Antisemitismus mit einem breiten Grinsen herauskotzt).
„Waldheims Walzer“ ist ein bemerkenswertes Zeitdokument geworden, in dem manche Wortmeldungen so intensiv von gestern wirken, als lägen sie nicht 32 Jahre, sondern ein paar Dekaden mehr zurück. Andere Aussagen wiederum scheinen erschreckend aktuell: Die Lebenslüge des Mittäter-Landes Österreich als Opfer der Nazi-Diktatur mag seit der Waldheim-Causa Geschichte sein. Doch man kann Parallelen vom Film zum heutigen Zustand des Landes ziehen, in dem längst neue Lebenslügen die Bürger faszinieren. Und das nicht nur in Österreich, sondern überall, wo der nationalistische Populismus mit seinen einfachen Formeln blüht.
IDEAL FÜR: Alle politisch interessierten Filmfreunde, die hier einer besonders wichtigen Episode der österreichischen Zeitgeschichte wiederbegegnen.