GESAMTEINDRUCK: „The Irishman“ ist ein herausragend gut gemachtes Mafia-Drama, das die Regie-Handschrift von Martin Scorsese trägt. Allerdings hat der Film im Mittelteil beträchtliche Längen – kein Wunder bei einer Spielzeit von drei Stunden und 30 Minuten.
DIE STORY: Der Lastwagenfahrer Frank Sheeran (Robert De Niro) landet in den 1950er Jahren vor Gericht, weil er gern einen Teil seiner Ladungen abzweigt und an die Mafia verkauft. Der Anwalt Bill Bufalino erwirkt jedoch einen Freispruch und bringt Frank mit seinem Cousin, dem Mafiaboss Russell Bufalino (Joe Pesci) zusammen. Der engagiert Sheeran als Mann fürs Grobe – bald gehören auch etliche Auftragsmorde zu seinem Job. Schließlich wechselt der Killer als Leibwächter zum legendären Gewerkschafter Jimmy Hoffa (Al Pacino), der für seine Mafia-Verbindungen berüchtigt ist. Hoffa und Sheeran werden mit der Zeit zu engen Freunden.
DIE STARS: Regie-Grande Martin Scorsese, der 1990 mit „Goodfellas“ einen der berühmtesten Mafia-Thriller der Filmgeschichte drehte, holte für „The Irishman“ seine damaligen Stars Robert De Niro und Joe Pesci vor die Kamera zurück. Obendrein engagierte er Al Pacino, der hier erstmals nach langer Zeit wieder mit De Niro zusammenspielt.
DIE KRITIK: „The Irishman“ ist einer der am sehnlichsten erwarteten Filme des Jahres 2019. Das hängt mit dem Thema und mit den Superstars vor und hinter der Kamera zusammen – aber gewiss auch damit, dass sich dieser Film im Kino rar macht.
Bekanntlich konnte Martin Scorsese kein Studio davon überzeugen, ihm das auf 160 Millionen Euro geschätzte Budget des Thrillers zu finanzieren. Schließlich griff Netflix zu, wo das Werk ab 27. November im Streaming zu sehen ist. Ab 15. November läuft „The Irishman“ zwei Wochen lang in ausgewählten Kinos *).
Wer epische Gangsterfilme im Scorsese-Stil mag, sollte den Film im Kino nicht versäumen. Kameramann Rodrigo Prieto, der mit Scorsese schon „The Wolf Of Wall Street“ drehte, sorgt für opulente Bilder aus einer kargen Welt. Das gloriose Spiel des Ensembles erzeugt im Kino natürlich größere Wirkung als auf einem TV-Schirm. Auch die teuren Spezialeffekte des Films, mit denen die Darsteller um Jahrzehnte jünger gemacht werden, als sie wirklich sind, kommen auf der großen Leinwand besonders gut zur Geltung.
Die Technik wirkt dabei weder aufdringlich noch gekünstelt. Man ist rasch bereit, zu akzeptieren, dass die alternden Granden De Niro oder Pacino auf einmal wieder so aussehen, als hätten sie gerade den Vierziger hinter sich. So etwas ist in der Illusionsmaschine des Kinos kein Problem – und man konzentriert sich auf die Geschichte, die auf wahren Ereignissen beruht. „The Irishman“ ist ein Film mit einem brillanten Beginn und einem starken Finale, aber auch mit einem dahinplätschernden Mittelteil.
In den ersten anderthalb Stunden ist man gefesselt von der Story des Aufstiegs Frank Sheerans (wenn man das denn Aufstieg nennen kann) vom Arbeiter zum Killer und gefürchteten Mafioso. Robert De Niro spielt so intensiv wie schon lange nicht. Er strahlt viel Entschlossenheit, Männlichkeit und auch eine gewisse Herzlichkeit aus, die freilich seiner Familie und seinen Töchtern vorbehalten ist. Wenn es um einen Mordauftrag geht, kennt dieser Sheeran kein Pardon.
Regisseur Scorsese nutzt die Kunst von De Niro (aber auch jene von Joe Pesci und Al Pacino), um eine Mafia-Welt zu zeichnen, die frei von jeglichem Glamour ist. Man begegnet Kleinbürgern und Spießern, die sich nur durch ihre kriminelle Energie von anderen Kleinbürgern und Spießern unterscheiden. Und die für die Reichtümer, die sie anhäufen, mit einem Leben in Angst bezahlen müssen. Denn keiner von ihnen ist davor gefeit, plötzlich eines gewaltsamen Todes zu sterben.
In den düsteren Schluss-Szenen des Films führt Scorsese dann fast höhnisch vor, wie lächerlich sinnlos das Machtstreben und die Verbrechen seiner Protagonisten sind. Dort begegnet man den (wenigen) Gangstern, die noch am Leben sind, als Greisen. Aus den Bossen sind kranke alte Männer geworden, die sich ohne Krücken oder Rollstuhl kaum noch bewegen können. Die Botschaft, die diese Sequenzen ausstrahlen, sind eindeutig: Je mehr Macht und Reichtum ein Mensch anhäuft, umso mehr Macht und Reichtum wird er im Angesicht des Todes verlieren.
Der Mittelteil von „The Irishman“ konzentriert sich auf die Beziehung zwischen dem kriminellen Gewerkschafter Jimmy Hoffa und seinem Leibwächter und Freund Frank Sheeran. Al Pacino und Robert De Niro spielen sich die Seele aus dem Leib, können einander allerdings keine großen Wortduelle liefern. Das liegt am Verhältnis der beiden Männer zueinander, quasi Chef und Angestellter: Al Pacino gibt als Jimmy Hoffa die Richtung vor, und Robert De Niro als Frank Sheeran geht mit. Bis auf eine einzige – wortlose, wenngleich extrem wichtige – Szene sind die Herren meist einer Meinung.
Gleichzeitig geht es in diesen Sequenzen massiv um die Taten und die Politik des umstrittenen Gewerkschafters Hoffa, der 1975 verschwand und 1982 für tot erklärt wurde (seine Leiche blieb bis heute unauffindbar). Zu Lebzeiten war Robert Kennedy, zeitweilig als US-Justizminister, hinter dem Mafia-Arbeiterführer her. Für Hoffas Tod bietet Scorsese im Film eine Erklärung an.
Scorsese lässt im Mittelteil aber auch die Dialoge endlos kreisen. In der Schilderung der Beziehung von Kriminalität und Politik in den USA der 1960er Jahre ufert der Film zu einer endlosen Talkshow aus, in welcher viel Intensität verloren geht.
Weniger wäre hier mehr: Hätte man den Film um eine Stunde gekürzt, so würde er immer noch zweieinhalb Stunden lang dauern. Aber möglicherweise wäre „The Irishman“ in einer kompakteren Form zum Meisterwerk geworden. Als Dreieinhalb-Stunden-Epos ist er immerhin ein sehr guter Film.
IDEAL FÜR: Alle Fans von Scorsese, De Niro, Pacino & Pesci. Sowie für alle Liebhaber großer Mafia-Dramen.
*) „The Irishman“ steht in diesen österreichischen Kinos zu unterschiedlichen Terminen auf dem Spielplan: Burgkino, Gartenbau, Votiv (Wien); Moviemento (Linz); Programmkino (Wels); Leo (Innsbruck); Rio (Feldkirch); Kiz Royal (Graz); Filmstudio (Villach). Der Film wird in der Originalfassung mit deutschen Untertiteln (Burgkino Wien: ohne Untertitel) gezeigt.