GESAMTEINDRUCK: „The Green Lie“ ist eine beunruhigende und zugleich unterhaltsame Doku von Werner Boote und Kathrin Hartmann über die Macht der Konzerne und über deren Kampagnen, sich umweltfreundlicher darzustellen, als sie sind.
DIE STORY: Kann man der Umwelt und der Erde etwas Gutes tun, wenn man sich beim Konsum ganz auf nachhaltig erzeugte Produkte verlegt? Die Industrie versucht, den Bürgern zu suggerieren, dass das möglich ist. Der Filmemacher Werner Boote und die Journalistin Kathrin Hartmann unternehmen in „The Green Lie“ eine Reise um die Welt, um die Werbeslogans auf ihren Wahrheitsgehalt abzuklopfen. Sie kommen, der Filmtitel drückt es aus, zu einem negativen Ergebnis,
DIE STARS: Der Wiener Regisseur Werner Boote, der zu Beginn seiner Laufbahn mit Vorliebe Musik-Dokumentationen drehte, konzentriert sich seit einigen Jahren auf ökologische und gesellschaftliche Themen. Seine Dokus „Plastic Planet“ (2009), „Population Boom“ (2013) und „Alles unter Kontrolle“ (2015) wurden nicht nur viel diskutiert – sie erzielten auch beachtliche Zuschauerzahlen.
Bei „The Green Lie“ arbeitet Boote nun mit der deutschen Journalistin und Buchautorin Kathrin Hartmann zusammen, die als Expertin für Nachhaltigkeit und das sogenanntte „Greenwashing“ ökologisch problematischer Produkte gilt. Im Februar erschien parallel zum Film Hartmanns Buch „Die grüne Lüge – Weltrettung als profitables Geschäftsmodell“ (Blessing-Verlag).
DIE KRITIK: „Mir wird gesagt, dass ich die Welt retten kann“, spricht Regisseur Werner Boote zu Beginn von „The Green Lie“ aus dem Off. „Alles, das ich dafür tun muss, ist nachhaltige und faire Produkte kaufen. Aber das ist eine Lüge.“
Die Filmemacher Boote und Kathrin Hartmann lassen also vom Start weg keine Zweifel an ihrem Standpunkt. Sie heben sich die Antwort auf die Grundfrage ihrer Doku nicht für den Schluss auf. Sondern sie verkünden sie gleich vornweg. Doch obwohl man die Conclusio schon kennt, erwarten einen 97 spannende Filmminuten.
„The Green Lie“ beginnt mit einem Einkauf in einem Wiener Supermarkt und mit dem Besuch einer Gala der Industrie, bei der wohlgelaunte Manager Nachhaltigkeits-Preise entgegennehmen dürfen.
Dann geht’s hinaus ins raue Leben. Erste Station: Indonesien. Dort, wo vor ein paar Jahren noch der Regenwald wucherte, entstanden durch Brandrodung gigantische Flächen, in denen nun die Ölpalmen wachsen; in Reih und Glied gepflanzt wie Palmen-Armeen.
Die Kamera schaut auch bei der internationalen Palmöl-Konferenz auf Bali vorbei, wo ein indonesischer Minister keinen Zweifel daran lässt, dass die Rodungen weitergehen: „Das Palmöl hat uns 20 Milliarden Dollar eingebracht. Die NGOs wollen die Affen schützen – uns liegen die Menschen am Herzen!“ Die Abgesandten der internationalen Konzerne applaudieren erfreut.
Brasilien, die USA und Deutschland sind weitere Schauplätz. In Südamerika geht’s in den Staat Mato Grosso do Sul, wo sich indigene Bauern gegen den Raub ihres Landes wehren, der für die (nachhaltige?) Rinderzucht verwendet wird. In Louisiana schildern Fischer, wie die Krabbenbestände zusammenbrachen, nachdem 2010 die Ölplattform Deepwater Horizon in Flammen aufging: „BP hat 30 Jahre unserer Arbeit zerstört.“
In Deutschland schließlich lassen die Film-Reisenden Werner Boote und Kathrin Hartmann in einem gigantischen Braunkohle-Feld ihren Tesla-Mietwagen stromlos verenden. Und sie stellen die Frage, ob es besonders schlau ist, mit der Braunkohle schmutzigen Strom zu produzieren, um damit saubere Elektro-Autos anzutreiben.
Ob dem Tesla bei dieser Szene wirklich der Saft ausging, sei dahingestellt: Werner Boote ist ein Regisseur, der gern auf große Effekte setzt. Was gewiss einen Teil seines Erfolges ausmacht: Man sitzt bei ihm nie in knochentrockenen Dokumentationen, sondern in Filmen, die bei aller Ernsthaftigkeit auch auf Unterhaltung setzen. Wozu auch die persönlichen Auftritte des Regisseurs zählen, der sich vor der Kamera gern selbst als wissbegieriger Charmebolzen in Szene setzt.
In „The Green Lie“ gibt’s da einige pointierte Zwiegespräche zwischen Boote (Typus: Wiener Luftikus) und Kathrin Hartmann (Typus: coole Umweltschützerin mit Köpfchen und Herz).
Ob die beiden Filmemacher in ihren Argumentationsketten all Pros und Contras fair verteilt haben, kann man als interessierter Zuschauer dieser packenden Dokumentation natürlich nicht beurteilen. Auf alle Fälle wirken die Einblicke und die Warnungen, die in „The Green Lie“ gewährt und ausgesprochen werden, so intensiv, dass man als Betrachter immer nachdenklicher die Stirn runzelt.
Da ist man dann auch geneigt, dem MIT-Professor Noam Chomsky zu glauben, dem berühmtesten Gesprächspartner des „Green Lie“-Projekts: „Am wahrscheinlichsten ist, wenn die aktuellen Tendenzen sich fortsetzen, die Zerstörung jeglicher Möglichkeiten für das organisierte, zivilisierte Leben. Und nicht erst in ferner Zukunft.“
Apocalypse now, also? Nein, Chomsky ist auch Optimist: „Es ist keinesfalls hoffnungslos. Es gab schon viele Erfolge in den letzten Jahren. Aber die passieren nicht von allein. Alles muss erkämpft werden.“
IDEAL FÜR: Alle Filmfreunde, denen das Wohlergehen des Planeten Erde am Herzen liegt.