GESAMTEINDRUCK: Das rabiate und rasante Drama „Systemsprenger“ ist bewegendes, anstrengendes und packendes Sozialkino über ein extrem schwieriges Kind.
DIE STORY: „Systemsprenger“ erzählt von der neunjährigen Benni. Das über die Maßen wilde Mädchen wurde von der überforderten Mutter verstoßen. Benni wird jetzt von einer Einrichtung zur nächsten weitergereicht. Niemand kann wirklich etwas mit ihr und ihren unvermittelten Wut- und Gewalt-Ausbrüchen anfangen. Dann taucht der Sozialarbeiter Micha auf: Vielleicht gibt es Hoffnung für Benni.
DIE STARS: Helena Zengel heißt die junge Dame, die aus diesem preisgekrönten Film ein Ereignis macht. Als Benni flucht und schimpft die Berlinerin wie ein Bierkutscher. Sie tritt um sich und schreit, um schon im nächsten Moment mit Engelsstimme nach ihrer Mama zu rufen. Kein Wunder, dass dieses Naturtalent schon den nächsten großen Job an Land gezogen hat. Momentan dreht sie mit „Bourne“-Regisseur Paul Greengrass in Amerika den Western „News of the World – an ihrer Seite als Co-Star Tom Hanks.
DIE KRITIK: „Systemsprenger“ – und das ist als Kompliment zu verstehen – fällt geradezu donnernd über das Publikum her. Selten hat in den letzten Monaten ein Film sein Publikum derart gepackt, durcheinander geschüttelt und nicht mehr los gelassen. Dieses Familiendrama geht einem tierisch auf die Nerven, zugleich aber auch schwer an die Nieren.
Man merkt dem Film in jeder Sekunde an, dass die Autorin und Regisseurin Nora Fingscheidt sich über Jahre hinweg mit dem Thema der kindlichen „Systemsprenger“ beschäftigt hat, die mit ihrem unbeherrschten und unbeherrschbaren Temperament die Mitarbeiter der Jugendeinrichtungen an die Grenzen ihrer Möglichkeiten treiben. Weil diesen Kindern, das wird am Beispiel der kleinen Benni überdeutlich, mit den gewohnten Therapie-Methoden nicht wirklich geholfen werden kann.
Der Film schildert, mit welcher Vehemenz Benni in ihrem Jähzorn Menschen und Dinge malträtiert, wenn ihr etwas nicht passt. Natürlich sind ihre Rambo-Aktionen stets auch ein Schrei nach Liebe. Deshalb drückt man der Kleinen und ihren Betreuern stets die Daumen, wenn sie den nächsten Versuch unternehmen, Benni zu zähmen.
Alle Einstellungen wirken echt, nichts ist gestellt. Man fühlt sich sehr häufig wie in einem Dokumentarfilm. Aber dann treten bekannte Schauspieler auf wie Albrecht Schuch – als einziger Erzieher, der Benni versteht – oder Gabriela Maria Schmeide und Victoria Trauttmansdorff. Und man merkt, dass es sich doch um einen Spielfilm handelt. Aber einen, der dicht dran ist am dokumentarischen Film.
„Systemsprenger“ gewann bei der Berlinale einen Silbernen Bär in der Kategorie eines „Spielfilms, der neue Perspektiven eröffnet“. Seither sind auf verschiedenen Festivals noch mehr als 20 Auszeichnungen hinzugekommen. Der Preis aller Preise könnte im Winter folgen. Deutschland hat den Film bei den Oscars eingereicht. Eine mutige Entscheidung. Denn wenn es einen Oscar für einen deutschen Film gab, dann spielte der meist in der Vergangenheit. Sollte es „Systemsprenger“ auf die Shortlist schaffen und damit eine Oscar-Nominierung bekommen, wäre das schon ein großer Erfolg.
IDEAL FÜR: Menschen, die gern dem prallen Leben im Kino zuschauen.