GESAMTEINDRUCK: „Sorry We Missed You“ ist gutes altes Sozial-Kino von Ken Loach, dem Meister des Realismus, der dieses Mal alle Hoffnung fahren lässt. Dieser Kapitalismus frisst seine Kinder.
DIE STORY: Eine Familie im Norden Englands will einen Neuanfang. Der Vater baut sich ein Geschäft als Paketfahrer mit eigenem Auto auf. Allerdings muss sich die Familie dafür verschulden. Aus dieser Schuldenfalle wird die Familie nicht mehr herauskommen. Egal, wie sehr sie sich müht.
DIE STARS: Wie so oft in seinen Dramen verzichtet der britische Regisseur Ken Loach auch in „Sorry We Missed You“ auf den Einsatz von bekannten Schauspielern.
Kris Hitchen, der die Hauptrolle des Familienvaters spielt, war in seinem Leben schon in allen möglichen Handwerksberufen tätig. Dies ist sein erster großer Film. Ebenso erging es bisher Debbie Honeywood. Auch sie war noch in keinem Film zu sehen. Umso mehr überrascht, mit welchem Herzblut die beiden hier spielen. Das gelingt ihnen sicher auch deshalb so überragend, weil sie in das Spiel eigene Ängste vorm Scheitern in dieser Gesellschaft hineinlegen.
DIE KRITIK: Eigentlich wollte Ken Loach, mittlerweile 83 Jahre alt, seine Karriere schon längst beenden. Aber spätestens nach der Goldenen Palme für „Ich, Daniel Blake“ im Jahr 2016 in Cannes muss er - gemeinsam mit seinem Drehbuch-Autor Paul Laverty - beschlossen haben, dass die Filmwelt einen wie ihn noch braucht. Denn momentan beschreibt einfach niemand so effektiv wie Loach, wie sich der Turbo-Kapitalismus durch die Gesellschaft frisst und einen Haufen Elend hinterlässt.
„Sorry We Missed You“ spielt in Newcastle, wo Loach schon „Ich, Daniel Blake“ ansiedelte. Hier hat es sich die Familie Turner einigermaßen bequem gemacht. Vater Ricky (Kris Hitchen) war lange Zeit arbeitslos. Jetzt will er sein eigenes Geschäft aufziehen - als eigenständiger Paketfahrer. Ihm wird eine goldene Zukunft versprochen. Allerdings gibt es einen Haken. Er muss viel Geld investieren. Das Auto seiner Frau Abby (Debbie Honeywood) wird verkauft. Die selbständige Altenpflegerin muss nun ihre Kundinnen mit dem nie pünktlichen Bus erreichen.
Ken Loach und Paul Laverty zeigen am Beispiel der Familie Turner mal wieder, was es heißt, wenn wir uns auf die unmenschlichen Regeln des neuen Kapitalismus (der das Wörtchen sozial gestrichen hat) einlassen. Oder besser gesagt, einlassen müssen.
Die Turners arbeiten nicht mehr, um zu leben. Sie leben, um zu arbeiten. Ricky fährt 14 Stunden am Tag Pakete aus - sechs Tage die Woche. Häufig erreicht er seine Kunden nicht, muss dann den Entschuldigungszettel „Sorry We Missed You“ hinterlassen. Abbys Arbeitstag beginnt früh um sieben und endet erst nach 20 Uhr. Für sich und ihre Kinder haben Ricky und Abby keine Zeit mehr.
Als Ricky einen Tag nicht arbeiten kann, zeigt sich die Schattenseite des Systems noch mehr. Er muss Strafe zahlen vom Geld, das noch nicht verdient ist. Zudem wird der große Sohn immer rebellischer. Geht lieber Graffitis sprayen anstatt zur Schule. Und seinem Vater wirft er vor, total versagt zu haben.
Früher hatten die Filme von Ken Loach, so bitter sie auch waren, stets einen Funken Optimismus. Der ist hier komplett verschwunden. Wie es mit der Familie Turner und unserer westlichen Gesellschaft weitergehen könnte: Der Altmeister des Sozialdramas weiß es nicht.
IDEAL FÜR: Menschen, die im Kino gern dem echten und oft bitteren Leben zuschauen.