Prisoners
Ein Mann sieht rot
DIE STORY: Der Thriller „Prisoners“ beginnt mit einem Erntedank-Dinner, das ein dramatisches Ende nimmt: Zwei Mädchen verschwinden spurlos. Wurden sie entführt? Der Polizist Detective Loki (Jake Gyllenhaal) beginnt zu ermitteln. Doch Keller Dover (Hugh Jackman), einer der Väter, nimmt die Sache selbst in die Hand. Er hält einen geistig zurückgebliebenen Jungen (Paul Dano) für den Entführer – und kidnappt ihn, um ihm ein Geständnis abzupressen.
DIE STARS: Hugh Jackman hat für diesen Film all seinen strahlenden Charme in der Garderobe gelassen und liefert das eindringliche Porträt eines düsteren, gequälten Mannes, der bereit ist, wirklich alles zu tun, um seine Tochter wiederzufinden. Auch Jake Gyllenhaal imponiert als cooler Cop, der manchmal lethargisch wirkt, aber sehr resolut ermittelt. Oscar-Preisträgerin Melissa Leo ist als ältere Dame bis zur Unkenntlichkeit verkleidet.
KURZKRITIK: „Prisoners“ ist ein dunkler Thriller mit großer Strahlkraft. Der Titel nimmt nicht nur auf die zwei entführten Mädchen Bezug, sondern auf fast alle Figuren im Spiel, die Gefangene ihrer mehr oder minder großer Obsessionen und Ängste sind. Der kanadische Regisseur Denis Villeneuve baut enorme Spannung auf und lässt gleichwohl genug Raum, um die Grundfrage des Films zu überdenken: Kann und darf Selbstjustiz in größter Not ein Mittel sein, um ein Verbrechen aufzuklären?
IDEAL FÜR: alle Freunde des klugen Spannungskinos – und für Fans von Hugh Jackman, die ihr Idol in der schwärzesten Rolle seines Lebens sehen wollen.
FilmClicks Kritik. Der Mann mit dem merkwürdigen Namen Keller Dover wirkt schon gebrochen, als seine Welt noch in Ordnung ist. Ein bigotter Starrkopf mit wirrer Frisur und verhärmter Miene, der das Lächeln verlernt hat: Hugh Jackman, abonniert auf (Super-)Heldenrollen, hat sich stark verändert, um diesen Eiferer darzustellen, der Halt nur an der Religion, archaischen Sprüchen („Das einzige zwischen dem Tod und dir bist du“) und an seiner Familie findet.
Als ein Festessen zur Tragödie mutiert, weil seine Tochter Anna (gemeinsam mit einem anderen Mädchen) entführt wird, zieht es diesem Keller Dover den Boden unter den Füßen weg. Fortan kennt es nur ein Ziel: Er will Anna zurück. Koste es, was es wolle. Die Polizei ist ihm dabei eher Last als Hilfe. Dover greift zu Mitteln, die ihm sein Glauben verbieten müsste: Er wird selbst zum Entführer – des Mannes, den er für den Täter hält. Und er wird zum Folterer.
Die Geschichte von Keller Dover ist der wichtigste Handlungsstrang des eminent vielschichtigen Thrillers „Prisoners“, der zu den Höhepunkten des Kinojahres zählt. Der kanadische Regisseur Denis Villeneuve legt bei seinem prachtvoll düsteren Hollywood-Debüt noch andere fesselnde Fährten aus. Da ist die Story des Cops Detective Loki (kühl und melancholisch: Der Tatoo-verzierte Jake Gyllenhaal), der zwischen Phlegma und äußerster Entschlossenheit ermittelt. Oder da ist die Story des tatverdächtigen jungen Mannes Alex Jones (verstört: Paul Dano), der mit seinem Wohnmobil, von der Polizei gestellt, nicht flüchtet, sondern gegen den nächst erreichbaren Baum fährt. Bald stellt sich heraus, dass dieser Alex zurückgeblieben ist. Er hat das Gemüt eines Zehnjährigen. Und ihm soll eine perfekte Entführung gelungen sein, deren Opfer spurlos verschwinden?
„Prisoners“ spielt in der tristen Provinz von Pennsylvania – eine vollkommen reizlose Gegend, die allein schon wie ein Gefängnis wirkt. Während der Film mit immer neuen Spannungsmomenten an den Nerven der Zuschauer zerrt, lenkt Regisseur Villeneuve (dem nach diesem Hit eine große Karriere bevorstehen mag) die Aufmerksamkeit auf die vielen inneren und äußeren Verliese, in denen sich die Figuren aufhalten.
Denn hier sind ja nicht nur die zwei entführten Mädchen Gefangene und dann der entführte mutmaßliche Entführer: Fast jeder schleppt große, ungeklärte Konflikte mit durchs Leben. Bei den einen äußert sich das in stillem Dulden, bei anderen in einem Nervenkostüm, so straff gespannt, dass es jederzeit zerreißen könnte.
Hugh Jackman spielt jedenfalls einen Mann der Tat, der erst handelt und dann – vielleicht – nachdenkt. Sein Keller Dover ist ein leidender Wüterich, der Gewalt mit Gewalt bekämpft. Kann man Verständnis dafür haben, dass er in seiner Not Selbstjustiz übt? Der Film zieht sich zunächst in eine Beobachter-Position zurück. Er lässt Keller Dover Raum für sein blutiges Handeln, und er folgt den Argumenten des Detective Loki, dem derlei Amateur-Ermittlungen schon von Amts wegen ein rotes Tuch sein müssen.
Selbstjustiz ja oder nein also? „Prisoners“, dieser Film der vielen Wendungen, legt seinen Standpunkt auf subtile Weise dar. Es gibt eine Szene, in der Keller Dover sehr eindrücklich erfährt, warum es vielleicht doch besser sein könnte, die Verbrecherjagd den Cops zu überlassen…