DIE STORY: „Mord im Orient-Express“ ist eine neue Neuverfilmung des gleichnamigen Krimi-Klassikers von Agatha Christie, der 1934 als Buch erschien.
Kenneth Branagh, der auch Regie führt, spielt den Detektiv Hercule Poirot, der auf der Bahnfahrt von Istanbul nach Calais mit einem Mordfall konfrontiert wird. Einer der Passagiere des Orient-Express liegt, durch zahlreiche Messerstiche verletzt, tot in seinem Blut.
Während der Express einen unfreiwilligen Aufenthalt einlegen muss (eine Lawine hat die Gleise verschüttet), beginnt der Meisterdetektiv Poirot mit seinen Ermittlungen: Der Mörder muss unter den Reisenden zu finden sein. Aber wer war’s?
DIE STARS: Der fünffache Oscar Nominee Kenneth Branagh hat für seine Version von „Mord im Orient-Express“ eine ganze Waggonladung voller Topstars an Bord geholt. Johnny Depp spielt einen zwielichtigen Kunsthändler aus den USA, Penélope Cruz eine frömmlerische Missionarin.
Judi Dench hört auf den imposanten Namen Prinzessin Natalia Dragomiroff. Michelle Pfeiffer spielt eine lebenslustige Lady, Daisy Ridley eine sozial engagierte junge Dame, die ein Geheimnis zu verbergen scheint.
Besonders lustig ist der Auftritt von Willem Dafoe, der mit schwerem Wiener Akzent so tut, als wäre er ein Professor aus Österreich. Hercule Poirot überführt den Professor aber als Lügner, weil der (in der deutschen Fassung) das Wort Sahne statt Obers verwendet – was einem Österreicher naturgemäß niemals passieren könnte.
DIE KRITIK: Das Schlimmste, was man einem Krimi-Freund antun kann, ist es, den Namen des Mörders zu verraten. „Mord im Orient Express“ hat da ein Problem.
Allerdings nicht, weil böswillige Insider die Auflösung spoilern würden. Sondern deshalb, weil fast jeder Filmfan und/oder Thriller-Leser die Story schon kennt. Agatha Christie hat mit dem „Orient Express“ vor 83 Jahren nun mal einen der bekanntesten Krimis des 20. Jahrhunderts geschrieben.
Wie soll man also Interesse wecken an einem Kriminalfilm, bei dem mindestens die Hälfte des Publikums von vornherein weiß, wie die Sache ausgeht? Regisseur Kenneth Branagh setzt auf berühmte Namen und auf opulente Schauwerte. Das ist gelungen. Der Film hat 55 Millionen Dollar gekostet, sieht mit seinen vielen prächtigen Szenen aber so aus, als hätte er das doppelte Budget verschlungen.
Drehbuchautor Michael Green (er ist dieses Jahr auch mit „Logan“, „Alien: Covenant“ und „Blade Runner 2049“ im Kino) stellt der Story von Agatha Christie eine Episode in Jerusalem voran, in welcher Hercule Poirot als schrulliger Pedant, aber auch als genialer Detektiv geoutet wird.
Wenn dann der Orient-Express in Istanbul aus dem Bahnhof rollt, steht die Lokomotive genauso unter Volldampf wie der Spezialeffekte-Computer. Die Bahnfahrt Richtung Nordwest wird zum optischen Rausch, bei dem man dem Film gern verzeiht, dass er gelegentlich ein bisschen übertreibt.
Die Berge des Balkans schauen so majestätisch und wild zerklüftet aus, als wäre der Himalaya nach Europa transferiert worden. Und wenn der Zug unfreiwillig zum Stillstand kommt, wird er nicht wie bei Agatha Christie von einer Schneewehe gestoppt, sondern von einer gigantischen Lawine, die den Express gottlob nicht komplett in den Abgrund reißt.
Das Dumme ist nur: Mit dem Zug bleibt auch der ganze Film irgendwie stehen. Nun gibt es keine bewegenden bewegten Bilder mehr, mit denen man die Zuschauer beschäftigen kann. „Mord im Orient-Express“ wird zu einem Krimi-Kammerspiel, bei dem visuell so wenig passiert, dass man es auch als Hörspiel ablaufen lassen könnte.
Wer war’s? Hercule Poirot muss nach dem Fund der messermäßig massakrierten Leiche mit den Mordermittlungen beginnen. Dafür hat er – siehe Rubrik Die Stars – zwar ein superprominentes Ensemble zur Verfügung, aber halt auch eine altbackene Story, der man die vielen Jahrzehnte anmerkt, die sie auf dem Buckel hat.
Die berühmten Schauspieler haben – abgesehen von Kenneth Branagh als Hercule Poirot – wenig Gelegenheit, zu glänzen. Die vielen Rollen der Mordverdächtigen sind nämlich zwangsläufig ziemlich kurz geraten, damit auch alle zu Wort kommen können. Den Darstellern bleibt keine Zeit, um ihre Figuren vielschichtig auszuformen.
So schleicht sich im Saal Langeweile ein. „Mord im Orient-Express“ ist ein sehr schöner und auch sympathischer Film, dem es aber mächtig an Thriller-Spannung fehlt. Zu guter Letzt ist der Fall gelöst und der Zug, vom Schnee befreit, dampft wieder los.
Hercule Poirot verlässt den Orient-Express, dieser kleine Spoiler sei erlaubt, schon vor dem Ziel: Im Balkan-Städtchen Brod wird er nach Ägypten umgeleitet. Dort ist er wieder als Ermittler gefragt; es geht um einen Tod auf dem Nil.
„Tod auf dem Nil“? Ist das nicht der Titel eines anderen Krimi-Klassikers von Agatha Christie? Kombiniere: Wird „Mord im Orient-Express“ zum Erfolg, dann wissen wir schon, wie die Reise weitergeht.
IDEAL FÜR: Agatha-Christie-Fans und für Freunde von nervenschonenden Krimis.