GESAMTEINDRUCK: „Miles Davis – Birth Of The Cool“ ist ein exzellenter Dokumentarfilm, der die Magie der Musik des Jazz-Giganten Miles Davis genauso einfängt wie seine schwierige Persönlichkeit.
DIE STORY: Der Film nimmt den Lebenslauf von Miles Davis als Fundament für einen rasanten Ritt durch Leben und Werk des Musikers. Die künstlerischen Meilensteine (vom Bebop über den Cool Jazz bis hin zu Fusion und Hip Hop) stehen im Vordergrund. Aber auch der private Miles Davis wird mit seinen positiven wie negativen Seiten beleuchtet. Neben Miles selbst (seine markante heisere Stimme wird von Carl Lumbly nahezu perfekt nachgesprochen) kommen auch wichtige Wegbegleiter zu Wort. Man begegnet Musikern wie Wayne Shorter, Herbie Hancock oder Carlos Santana sowie einstigen Miles-Partnerinnen wie Juliette Greco und Frances Taylor. Und natürlich gibt es jede Menge Jazz.
DIE STARS: Der Trompeter Miles Davis (1926 – 1991) ist der wichtigste Musiker des modernen Jazz. Nach dem Start im Bebop-Stil war er der kreative Kopf der Cool-Jazz-Bewegung, um später das Zeitalter des Fusion Jazz mit seinen elektronisch verstärkten Instrumenten einzuläuten. Nach einer durch persönliche und kreative Krisen bedingten Auszeit von 1975 bis 1981 kehrte Miles in seinen letzten zehn Lebensjahren noch einmal als strahlender Star auf die großen Bühnen zurück – mit Sounds, die Jazz- und Pop-Einflüsse genial verbanden.
Der Regisseur und Emmy-Preisträger Stanley Nelson zählt als Chronist des afro-amerikanischen Lebens zu den bedeutendsten Dokumentarfilmern der USA. 2013 wurde er von Präsident Barack Obama mit der
National Medal in the Humanities ausgezeichnet.
DIE KRITIK: Rund 50 Jahre Musik, Karriere und Leben, komprimiert auf 115 Filmminuten: Das Projekt „Miles Davis – Birth Of The Cool“ wirkt auf den ersten Eindruck so vollgepackt und überladen, dass es nur scheitern kann. Falsch.
Regisseur Stanley Nelson hat es geschafft, ein in unzähligen Facetten glitzerndes Porträt entstehen zu lassen, das einem der größten Musiker des 20. Jahrhunderts in jeder Hinsicht gerecht wird. Und das den Zauber von Miles Davis‘ Musik genauso zum Ausdruck bringt wie die Aggression und das selbstzerstörerische Element, das diesen Mann so oft umgab – und das in so großem Gegensatz steht zur seelenvollen Ausstrahlung seiner Klangwelten.
Miles Davis, der „Man With The Horn“ (so einer seiner Albumtitel), wird als kühner Entdeckungsreisender geschildert, der mit seinen stets sorgsam ausgewählten Musikern ein Leben lang auf der Suche nach neuen Klängen war.
Der Film macht Station bei den Aufnahmen zu „Kind Of Blue“, mit dem der Trompeter 1959 die Sprache des Jazz neu definierte (das Werk, bis heute erhältlich, wurde auch kommerziell eines der erfolgreichsten Alben der Jazzgeschichte). Man hört die sinnlich-dunklen Aufnahmen mit seinem Quintett der Sechziger Jahre (mit dem späteren Superstar Herbie Hancock am Piano). Und man lässt sich fallen in die in jeder Hinsicht elektrisierenden Sounds, mit denen Miles erst in den Siebzigern und dann in den Achtzigern die Brücke vom Jazz zu Rock und Hip Hop errichtete.
Regisseur Nelson mischt zwischen die musikalischen Themen geschickt Episoden aus der privaten Welt des Jazz-Magiers.
Eine davon spielt in Paris: Die Chanson-Legende Juliette Greco, die anfangs der Fünfziger Jahre mit Miles zusammen war, scheint bis heute ein wenig zu bedauern, dass er ihr seinerzeit keinen Heiratsantrag machte (ihre Mimik im Interview deutet darauf hin). Eine andere wichtige Frau im Leben des Stars, die schöne Tänzerin Frances Taylor, blickt zwar gern auf die gemeinsame Zeit zurück („wir waren ein heißes Paar“), berichtet aber auch von der schroffen Abweisung und der Eifersucht, zu der Miles Davis fähig war. Er selbst wird mit freimütigen Worten über seine Abhängigkeit von Heroin, Kokain und anderen Drogen zitiert, die er zum Leben zu brauchen glaubte und die ihm das Leben zur Hölle machten.
So wächst in vielen Mosaiksteinchen das Bild eines Jahrhundert-Musikers, dem das Schicksal eine fast überirdische Begabung schenkte, der aber nicht das Talent besaß, seine Kunst und seinen Erfolg in ein glückliches Leben umzuwandeln. Weil er immer wieder von kaum zu bändigenden inneren Dämonen gepeinigt wurde.
Miles Davis, der (wohl auch wegen des Raubbaus an seinem Körper) nur 65 Jahre alt wurde, ist seit 28 Jahren tot. Was bleibt, ist seine Musik, die auch heute so klingt, als wäre sie nicht vor Jahrzehnten, sondern in der Gegenwart entstanden.
Die vielen Musiknummern machen „Miles Davis – Birth Of The Cool“ auch akustisch zum Ereignis. Seine ewigen Hits – vom elegant swingenden „So What“ über die melancholischen Balladen „It Never Entered My Mind“ und „Someday My Prince Will Come“ bis zum rockig köchelnden „Tutu“ – kommen im Film natürlich vor.
Man muss kein Jazzfan sein, um diese Musik zu mögen. Aber es besteht die große und wunderbare Gefahr, dass man einer wird. So, wie es dem Rezensenten erging, dessen ewige Liebe zum Jazz einst bei einem Miles-Davis-Konzert in Wien entflammte.
IDEAL FÜR: Jazzfans und andere Musikliebhaber.