GESAMTEINDRUCK: „Midsommar“ ist ein sinnlicher Horrorfilm, der mit seiner bewusst eingesetzten Bedächtigkeit einen wunderbaren Sog erzeugt.
DIE STORY: In „Midsommar“ werden vier amerikanische Jugendliche mitten in die schönste schwedische Einöde eingeladen. Dort feiert man wie alle 90 Jahre ein ganz besonderes Fest zu Ehren der Naturgötter. Zuerst sind alle begeistert. Alles ist so fröhlich und an jeder Ecke werden Drogen gereicht. Aber dann mehren sich die Anzeichen, dass es an diesem speziellen Ort nicht mit rechten Dingen zugeht. Und irgendwann verschwindet der erste Amerikaner. Aber warum?
DIE STARS: Hauptdarstellerin von „Midsommar“ ist die Engländerin Florence Pugh, der seit ihrem faszinierend reduzierten Spiel in „Lady Macbeth“ (2016) eine große Karriere vorhergesagt wird. Ihren Ruf als starke und zugleich zerbrechliche Charaktermimin zementiert sie hier noch weiter. In der Rolle der Dani macht sie eine unfassbare Reise durch. Am Anfang ein Nervenbündel, völlig fertig. Und am Ende gehört der Film nur ihr allein.
Die Jungs an ihrer Seite – das ist vom Regisseur, dem US-Ausnahmefilmer Ari Aster, wohl genau so gewollt – verschwinden nicht nur nach und nach. Auch das Schauspiel der jungen Herren bleibt nicht sonderlich lange in Erinnerung. Aber es gibt sicher Schlimmeres, als von Florence Pugh an die Wand gespielt zu werden.
DIE KRITIK: Die Horror-Fans haben „Midsommar“ sehnsüchtig erwartet. Denn der Regisseur Ari Aster hatte mit seinem ersten langen Film
„Hereditary“ im letzten Sommer die Latte sehr hoch gelegt. War er damals noch beeinflusst von Werken wie „Rosemary`s Baby“, legt er dieses Mal seinen Film als geschickte Kreuzung aus „The Wicker Man“ (aber bitte das Original und nicht die schreckliche neue Version mit Nicolas Cage) und dem Stil von Ingmar Bergman an.
Gut möglich, dass der alte Schwede Bergman, wäre er noch am Leben, heftig Beifall geklatscht hätte für diese filmische Erfahrung, die mit ihrer Länge von weit über zwei Stunden keine Sekunde zu lang ist. Ari Aster hat in den letzten Tagen mehrfach erklärt, dass es demnächst noch einen dreistündigen Director´s Cut geben soll.
„Midsommar“ gehört zwar in den großen Bereich des Horrorfilms, ist aber keine schnell und harmlos zu konsumierende Kost. Ari Aster ist auf den langfristigen Genuss aus. Er will, wie auch bei einem exzellenten Essen, dass man die Sache ganz langsam angeht.
Und so beginnt er in aller Seelenruhe – vergleichbar mit TV-Serien, die sich zum Teil auch elend lange Zeit lassen, bis sie zum Punkt kommen – seine Geschichte zu entrollen. Man braucht Geduld: Die erste Stunde geht dafür drauf, dass Aster das erzählt, worum es ihm eigentlich geht (was in der zweiten Hälfte dann geschickt versteckt wird). Dani (Florence Pugh) und Christian (Jack Reynor) haben es gerade in ihrer Beziehung schwer. Er würde sie gern verlassen, während sie klammert. Dann passiert eine Katastrophe in Danis Familie und sie weiß nicht weiter.
Eigentlich wäre Christian gern allein mit drei Kumpels nach Schweden geflogen, um dort auf Einladung eines Austauschstudenten an diesem besonderen Fest teilzunehmen und außerdem die Kultur der Mittsommer-Wende besser kennenzulernen. Da es Dani nicht gut geht, begleitet sie die jungen Männer in die Kommune, die mitten im Walde liegt.
Vor Ort angekommen, genießen die Jugendlichen die Freundlichkeit, die sagenhaft schöne Landschaft (von Pawel Pogorzelski aufregend gefilmt) und überhaupt das Gefühl, alles machen zu können. Tröpfchenweise sickert Unbehagen in die schönen Bilder. Dani scheint ausgelacht zu werden. Die Einheimischen scheinen eigenartige Rituale zu pflegen und so weiter.
Nach einer Stunde – wenn man schon fast bereit ist, dem Film Langatmigkeit zu bescheinigen – packt Ari Aster den Hammer aus. Er zeigt in einer Zeremonie, was mit Menschen in der Siedlung geschieht, wenn sie 72 Jahre alt werden. Der Horror bricht unvermittelt in den Film ein und erscheint umso schockierender, weil sich das Grauen nicht im Dunkeln versteckt. Alles, jede einzelne Grausamkeit – und es werden einige folgen – geschieht im herrlichsten Sonnenlicht. Und da in diesem Film vorwiegend weiß getragen wird, kommt das rote Blut natürlich sehr gut zur Geltung.
„Midsommar“ kann man als Film in viele Richtungen lesen. Es ist vor allem, bis zur letzten Szene, ein Trennungsfilm. Außerdem ein feministischer. Selten waren Männer im Kino in den letzten Jahren so überflüssig. Sie werden (hier in einer schockierend hymnisch anmutenden Szene) als Erzeuger gebraucht und dann entsorgt.
Ari Aster arbeitet – wie schon bei „Hereditary“ – wieder exzellent mit Geräuschen und Musik. Wer „The Wicker Man“ kennt, der weiß, dass es viel Folklore im Film gibt. Auf die verzichtet Aster bei seiner Neudeutung auch nicht. Nur wer Folk so überhaupt nicht mag, dem könnte es etwas zuviel an Gesängen geben.
Vor allem aber sollte man den Blick keine Sekunde von der Leinwand abwenden. Denn Ari Aster gibt immer wieder Vorschauen auf das, was demnächst passieren wird. In dem schwedischen Ort sind alle Häuser mit Bildern verziert, aus denen man ablesen kann, welcher Schrecken gleich einsetzen wird. Sämtliche Andeutungen erkennt man wohl erst, wenn man „Midsommar“ – für den Rezensenten der Horrorfilm des Jahres - ein drittes oder viertes Mal anschaut.
IDEAL FÜR: Arthaus- und Horrorfans gleichermaßen.