DIE STORY: Die nachdenkliche Komödie „Maman und ich“, in Frankreich der Film des Jahres mit insgesamt fünf César-Preisen, ist die sehr ungewöhnliche Geschichte einer jugendlichen Selbstfindung.
Der Pariser Filmstar Guillaume Gallienne, als Autor, Regisseur und doppelter Hauptdarsteller im Einsatz, macht einen Ausflug in seine Vergangenheit: Der Film sei „ein Stück über einen Mann, der seine Heterosexualität akzeptiert – in einer Familie, die überzeugt ist, er sei schwul.“
Der junge Guillaume wächst in einer reichen Familie sehr mädchenhaft auf: Seine Mutter behandelt den femininen Sohn wie die Tochter, die sie nicht hat – und der Junge macht mit. Langer Zeit kommt er gar nicht auf die Idee, dass er sich zu Mädchen hingezogen fühlen könnte. Doch als er vor den ersten Männern flüchtet, die Sex mit ihm haben wollen, merkt er, dass er andersrum ist. Hetero nämlich. An dieser Erkenntnis hat im Film auch Diane Kruger einen gewissen Anteil, die Guillaume eine sehr eindringlich wirkende Massage verpasst.
DER STAR: Guillaume Gallienne, der dieses Jahr bei der César-Verleihung unter anderem den Preis für den besten Hauptdarsteller gewann, ist ein ungemein vielseitiger Schauspieler. Im Frühjahr beeindruckte er in
„Yves Saint Laurent“ als Christian Bergé – als cooler und resoluter Geschäfts- und Lebenspartner des stimmungslabilen Modezaren Saint Laurent.
Jetzt, in „Maman und ich“, zeigt er zwei gänzlich andere Facetten. Der 42-jährige spielt vollkommen glaubhaft und überzeugend sein jugendliches Selbst: Einen komplexbeladenen Teenager-Knaben, der Kleider liebt, der gern in die Rolle der Kaiserin Sissi schlüpft und der seine Neurosen bei zahlreichen Therapeuten pflegt. Natürlich leidet der junge Mann schwer unter seiner heiß geliebten, aber dominanten Mutter – im Film spielt er die mürrische und herrische Dame, die raue Sprüche und Zigaretten liebt, gleich mit. Bravourös.
DIE KRITIK: „Meine Mutter hat keine schlechten Eigenschaften“, erzählt Guillaume Gallienne im Film – „außer schlechter Laune seit meiner Geburt“.
Nicht nur wegen Maman hat’s der Junge aus begüterter Familie nicht leicht im Leben. Die Mutter behandelt ihn wie ein Mädchen, ein Therapeut nennt ihn eine Mischung aus „Narziss und Drama-Queen“. Und in der Schule gehört der dickliche Knabe, dem jedes sportliche Talent fehlt, zu den beliebtesten Opfern für harsche Schüler-Scherze.
Der Autor/Regisseur Guillaume Gallienne macht aus „Maman und ich“ einen juvenilen Hindernislauf, der trotz aller bitterernsten Momente auch voller Komik steckt. Er stattet die Figur Guillaume Gallienne (also sein jugendliches Ego) zwar mit reichlich Selbsthass aus, gönnt ihm aber auch eine gewisse Souveränität und Leichtigkeit, die ihm das Dasein erträglicher macht. Dieser Guillaume ist ein introvertierter Charmeur und ein begabter Clown, der es etwa in einer hinreißenden Szene schafft, sich mit dahingestotterten Schwindeleien dem Militärdienst zu entziehen.
Und zu guter Letzt schafft Guillaume es auch, sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf zu ziehen: Der Film schildert diese Coming-of-Age-Geschichte der schrägen Art mit Zartheit, Entschlossenheit und einer großen Portion französischem Charme. Sehenswert.
IDEAL FÜR: alle, die im Kino gern einmal die Irrungen und Wirrungen des eigenen Erwachsenwerdens mit einer sehr außergewöhnlichen Geschichte vergleichen wollen.