GESAMTEINDRUCK: „Lucky“ ist ein stilles und wunderbares Film-Essay über das Leben und den Tod – und eine Verbeugung vor Harry Dean Stanton in seiner letzten großen Rolle.
DIE STORY: Yoga nach dem Aufstehen, Frühstück im Coffee Shop, dann ein paar Zigaretten und nachmittags Quiz-Sendungen im Fernsehen: Der 90-jährige Lucky (Harry Dean Stanton) lebt in einem US-Provinznest nach einem festen Ritual. Abends sitzt er gern in der Bar von Elaine (Beth Grant), leert ein paar Drinks und plaudert mit Freunden wie dem Exzentriker Howard (David Lynch). Lucky ist allein, aber nicht einsam, und er genießt seine Tage, bis ihn ein Sturz in jeder Hinsicht aus dem Gleichgewicht bringt: Der alte Herr beginnt, sich mit dem Sterben auseinanderzusetzen.
DIE STARS: Harry Dean Stanton (1926 – 2017) zählte mehr als 60 Jahre zu den festen Größen des US-Kinos. In Europa wurde er 1984 durch die Hauptrolle in Wim Wenders‘ „Paris, Texas“ berühmt, doch man sah ihn auch in Produktionen wie „Alien“, „Der Pate II“ oder „The Green Mile“. „Lucky“ ist sein vorletzter Film. Zuvor drehte Stanton mit Kultregisseur David Lynch, der hier als Schauspieler auftritt, noch neue Folgen von dessen TV-Serie „Twin Peaks“.
„Lucky“ markiert das Regie-Debüt des US-Schauspielers John Carroll Lynch („Fargo“, „The Founder“). Lynch kam im Oktober 2017 zur Premiere von „Lucky“ nach Wien, wo sein Film zur Eröffnungs-Gala der Viennale ausgesucht worden war.
DIE KRITIK: Eine weite, wüstenhafte Landschaft, in der die Sonne auf karge Pflanzen niederbrennt: Das Ambiente von „Lucky“ erinnert an „Paris, Texas“. Und auch Harry Dean Stanton wirkt so, als wäre sein Lucky der gleiche Mann wie Travis im Wim-Wenders-Film; nur gut 30 Jahre älter: Beide Figuren sind mit wortkarger Klugheit, mit Gelassenheit und einem großen Hauch Melancholie geformt.
Regisseur John Carroll Lynch begleitet seinen Protagonisten durch den immer gleichen Ablauf seiner Tage. Es passiert also nicht viel in „Lucky“, sieht man einmal davon ab, dass Präsident Roosevelt abgehauen ist, die 100-jährige Schildkröte des Eigenbrötlers Howard (David Lynch).
Das Besondere an diesem wunderbaren Film ist aber, dass seine Handlungsarmut ausgesprochen fesselnd wirkt. Die wahren Abenteuer wohnen hier, um André Heller zu zitieren, im Kopf. Und welches Abenteuer könnte größer sein als jenes, wenn ein Mensch ganz unausweichlich mit dem Gedanken an die Endlichkeit seines Erdendaseins konfrontiert wird?
Der Film reiht eine Vielzahl von kleinen Begebenheiten aneinander, jede für sich fast bedeutungslos, die in Summe ein prächtiges Mosaik ergeben. Regisseur Lynch lässt seinem Hauptdarsteller freien Lauf, seine Figur zu modellieren. Die Darsteller im Ensemble fungieren mit Freude und Verehrung als Stichwortgeber für den großen alten Mann.
So hat Harry Dean Stanton mit „Lucky“ ein großes Geschenk zum Finale seiner Karriere bekommen, das er an die Zuschauer weitergibt: Er mag wohl geahnt haben, dass diese berührende Alters-Elegie seine letzte große Arbeit sein würde. Harry Dean Stanton ist im September 2017, wenige Tage vor der US-Premiere von „Lucky“, verstorben.
IDEAL FÜR: Cineasten, die noch einmal den wunderbaren Harry Dean Stanton auf der Leinwand erleben wollen.