DIE STORY: Das russische Drama „Leviathan“ (Golden Globe 2015 als bester ausländischer Film) ist vielerlei zugleich. Auf der einen Seite die Geschichte von Kolja (Alexey Serebryakov), der mit Frau und Kind in einem kleinen Fischerdorf im Norden Russlands wohnt. Er hat es zu bescheidenem Wohlstand gebracht und säuft sich jeden Tag schön.
Dann aber gerät er mit dem Bürgermeister (Roman Madyanov) aneinander. Der möchte das Grundstück, auf dem Koljas Haus steht, gern selbst haben.
Es folgt der Kampf David gegen Goliath – mit ungewissem Ausgang. Wer die 141 Filmminuten durchgesessen hat, der weiß, welche Konsequenzen es im Russland dieser Tage haben kann, wenn man sich einem Mächtigen in den Weg stellt.
DIE STARS: Gibt es nicht, braucht man nicht. Zwar ist die Landschaft am Ende der Welt irgendwie sehr eigen und auch ein wenig schön. Aber das menschliche Drama entwickelt hier derart viel Wucht, dass Stars wohl nur abgelenkt hätten.
DIE KRITIK: Der russische Filmemacher Andrey Zvyagintsev ist seit mehr als zehn Jahren eine gesetzte Größe im internationalen Filmgeschäft. 2003 gewann er mit „Die Rückkehr“ den Goldenen Löwen von Venedig. Den Weg, den er damals einschlug, hat er bis heute nicht mehr verlassen.
Zvyagintsev macht es seinem Zuschauer nie leicht. Er ist weder an Mainstream- noch an Popcorn-Kino interessiert. Seine Filme sind schwer zugänglich. Endlos lange Einstellungen, manchmal quälend lang. Aber nicht von der Art, dass man schreiend das Kino verlassen möchte. Zvyagintsev schickt den Zuschauer auf eben den Pfad, den auch seine Kinohelden durchleiden müssen.
Durchleiden ist im Fall von „Leviathan“ genau der richtige Begriff. Denn seine Hauptfigur Kolja (Alexey Serebryakov) macht eine Geschichte durch, die man niemandem wünscht.
Er wohnt mit seiner Familie mitten im russischen Nirgendwo, in einem soliden Haus mit sensationellem Blick auf einen See. Eigentlich hat er ein ganz schönes Leben. Tagsüber, als Mechaniker, schraubt er an Motoren. Abends wird Wodka gesoffen, bis der Arzt kommt.
Eines Tages bekommt er Ärger mit dem Bürgermeister (Roman Madyanov) der kleinen Stadt. Der hat es sich in den Kopf gesetzt, das Grundstück von Kolja zu übernehmen. Kolja wehrt sich und ruft seinen Freund Dmitri (Vladimir Vdovichenko), einen Anwalt aus Moskau, hinzu. Er soll Kolja vor Gericht vertreten. Und wenn das nicht von Erfolg gekrönt ist, wollen Kolja und Dmitri den Bürgermeister mit Korruptionsfällen aus der Vergangenheit erpressen.
Aber die beiden haben nicht damit gerechnet, dass die Mächtigen in einer Diktatur sehr schnell den Schulterschluss üben, wenn Gefahr droht. Die Kirche verbündet sich mit dem Bürgermeister, die Gerichte entscheiden so, wie es die Obrigen wollen. Gerechtigkeit kann man sich kaufen oder sich über Beziehungen verdienen. Sie ist nicht für jedermann da.
Als Kolja dann noch seine Gattin Liliya (Elena Lyadova) mit Dmitri im Bett erwischt, zieht es ihm endgültig die Füße weg. Und draußen vor den Toren der Stadt liegt ein freigespültes riesiges Skelett eines Urgetüms der Meere. Vielleicht der titelgebende Leviathan?
Zvyagintsev lässt viele Deutungen offen, worauf sich sein Filmtitel wirklich bezieht. Der Zuschauer weiß nur eins, wenn er erschöpft und bereichert zugleich das Kino verlässt: In diesem Land möchte man derzeit nicht wohnen müssen. Wer mag, darf natürlich eine Putin-Deutung in welche Richtung auch immer vornehmen. Filmkunst auf höchstem Niveau.
IDEAL FÜR: Alle, die es mögen, im Kino zugleich eine kleine fein gestrickte Geschichte und zugleich die großen Weltengänge erklärt zu bekommen. Eine Lektion in Sachen Leben in Russland vom Feinsten!