GESAMTEINDRUCK: „Intrige“ ist eine exzellent erzählte Geschichtsstunde über einen der größten historischen Justiz-Skandale in Frankreich.
DIE STORY: Regie-Legende Roman Polanski beleuchtet in „Intrige“ die Dreyfus-Affäre. Die Ereignisse: Die französische Armee hat im Jahr 1894 ein großes Problem. Militärische Geheimnisse sind an die Deutschen verraten worden. Die Suche führt sehr schnell zum jüdischen Offizier Alfred Dreyfus (Louis Garrel). Obwohl es in der Indizienkette etliche Widersprüche gibt, wird Dreyfus zu lebenslanger Haft auf der Teufelsinsel verurteilt. Doch der Offizier und Geheimdienstler Georges Picquart (Jean Dujardin) erkennt bei der Aufarbeitung des Falls, dass ein Fehlurteil gefällt wurde.
DIE STARS: Der „The Artist“-Star Jean Dujardin liefert in „Intrige“ eine der besten Leistungen seiner Karriere ab. Einfach nur großartig, dabei zuzuschauen, wie sein Georges Picquart vom Antisemiten zum Kämpfer für die Gerechtigkeit wird. Louis Garrel als Dreyfus hat weitaus weniger Szenen, weiß die aber sehr souverän zu nutzen. Für Emmanuelle Seigner, die Gattin von Regisseur Roman Polanski, fand sich eine kleine warmherzige Rolle als die Geliebte des Georges Picquart.
DIE KRITIK: Das Dokudrama „Intrige“ erzählt meisterhaft vom Aufstieg des Georges Picquart (Jean Dujardin). Der Offizier übernimmt das Amt des Chefs der Auslands-Aufklärung Frankreichs und bekommt so Zugang zu vielen Informationen, die den Prozess gegen den vermeintlichen Verräter Alfred Dreyfus betreffen. Stück für Stück findet Picquart heraus, dass mit Dreyfus der Falsche in Haft sitzt. Aber Picquarts Vorgesetzte weisen ihn an, dass nicht weiter untersucht werden darf. Der Jude Dreyfus ist genau der Schuldige, den die französische Regierung braucht.
Roman Polanski, mittlerweile 86 Jahre alt, ist der richtige Mann, um diese Geschichte, die Frankreich seinerzeit an den Rand eines Bürgerkrieges brachte, neu zu erzählen. Schon die Eingangs-Sequenz ist meisterhaft.
Völlig unaufgeregt und mit großen Panoramabildern zeigt Polanski, wie Alfred Dreyfus vor mehreren Tausend Soldaten - während vor den Toren das Volk „Tod dem Juden“ schreit - jeder militärische Rang genommen wird. Er selbst ruft: „Hier wird ein Unschuldiger degradiert!“
Mehrfach während der kommenden gut zwei Stunden droht die Stimmung zu kippen. Polanski bleibt in seiner Inszenierung immer betont ruhig. Ihm geht es um die unglaublichen Fakten und was daraus erwächst. Keineswegs um vordergründige Action.
In erster Linie ist „Intrige“ natürlich ein Film über historische Ereignisse. In diesem Fall mit einem starken Gewicht auf dem Ermittler Picquardt (Dujardin spielt großartig). Immer wieder stößt dieser Mann an Grenzen. Er begreift nicht, warum Recht nicht Recht sein darf, wenn die Herrschenden etwas anderes anordnen.
„Intrige“ (Originaltitel: „J’accuse“) ist aber auch eine exzellente Studie darüber, wie stark der Antisemitismus Ende des 19. Jahrhunderts in der französischen Gesellschaft verbreitet war. Plötzlich brennen Bücher. In Geschäften werden Fensterscheiben mit Losungen gegen Juden beschmiert.
Das Volk tobt ein ums andere Mal und fordert die Bestrafung von Dreyfus. Nicht, weil er schuldig, sondern weil er Jude ist. Polanski lässt diese für viele Jahrhunderte und bis in die heutige Zeit gültige Beobachtung einfach so stehen. Richtig so! Er schuf einen in Historienfilm, der in unsere heutige Zeit hineinscheint.
Bleibt eine moralische Frage: Darf man trotz der alten und jüngst wieder neu geäußerten Missbrauchsvorwürfe gegen Roman Polanski diesen Film anschauen? Man sollte auf jeden Fall. Denn „Intrige“, beim Festival Venedig mit dem Großen Preis der Jury (Siolberner Löwe) ausgezeichnet, ist sein bester seit vielen Jahren. Hier geht um das Werk, nicht um den Künstler.
IDEAL FÜR: Kinofreunde, die Historien-Filme mögen, die wunderbar die Brücke zwischen damals und heute schlagen.