DIE STORY: Das Drama „Innen Leben“ (Originaltitel: „InSyriated“) nimmt das Kinopublikum mit zu den wahren Opfern des Syrienkriegs. Zu den Zivilisten, die sich nach einem Leben in Frieden sehnen, doch unter ständiger Todesbedrohung stehen, weil rund um sie herum die Kämpfe toben.
Hauptfigur ist eine Frau namens Oum Yazan (Hiam Abbass), die in ihrer Wohnung in Damaskus nicht nur die eigene Familie versammelt hat, sondern auch ein Nachbarspärchen mit einem Baby und den Freund einer ihrer Töchter. Die Wohnungstür ist mit schweren Balken verrammelt; die Vorhänge sind geschlossen. Doch der Krieg ist in jeder Sekunde allgegenwärtig.
Während die Menschen im Apartment irgendwie versuchen, einen Hauch von Alltag aufrecht zu erhalten, knattern draußen die Maschinengewehre und Kampfjets donnern vorbei. Wenn die Detonationen näher kommen, aber auch, wenn es draußen an der Tür klopft, wissen die Bewohner, dass nun die Bedrohung ganz real und persönlich wird.
DIE STARS: Die israelisch-palästinensische Darstellerin Hiam Abbass zählt zu den renommiertesten Schauspielerinnen des Nahen Ostens. Sie ist immer wieder auch in europäischen und amerikanischen Produktionen zu sehen; etwa in Steven Spielbergs „München“, in Ridley Scotts „Exodus: Götter und Könige“ oder, demnächst, in Denis Villeneuves „Blade Runner 2049“.
Der belgische Regisseur Philippe Van Leeuw, der auch das Drehbuch schrieb, begann seine Laufbahn als Kameramann. Für „Innen Leben“, seine zweite Inszenierung, gewann er den Panorama-Publikumspreis der Berlinale 2017.
DIE KRITIK: „Ich habe solche Angst.“ Dieser Satz fällt nicht nur einmal im Kriegsdrama „Innen Leben“ – und die Angst überträgt sich auf das Publikum.
Man ist zu Gast in einer bürgerlichen Wohnung irgendwo in Damaskus, die in jedem Moment zur tödlichen Falle werden kann. So wie die Menschen auf der Leinwand achtet man bald auch selbst auf jedes Geräusch; auf jede außergewöhnliche Bewegung. Der Schrecken des Krieges überträgt sich auf die Zuschauer im Kinosaal.
Regisseur Philippe Van Leeuw zeigt nicht viel explizite Gewalt, und doch ist die Gewalt in jeder Sekunde dieses Films unübersehbar. So wie in den Filmen von Michael Haneke spielt sich die Angst vor der Grausamkeit vorwiegend im Kopf des Betrachters ab. Dieses Stilmittel erzeugt intensive Spannung – es ist unmöglich, von „Innen Leben“ nicht gefesselt zu sein -, und es sorgt gleichzeitig dafür, dass man sich mit den Filmfiguren voll und ganz solidarisiert.
Die mühsam unterdrückte Todesangst der Menschen im Apartment bildet das Fundament des Films. Auf dieser Basis entstehen einige fein ausformulierte kleine Geschichten: Die Teenager und die Senioren finden ihre eigenen Wege, mit der Grausamkeit der Außenwelt umzugehen. Die Hausfrau Oum Yazan (grandios: Hiam Abbas) hat alle Hände voll zu tun, den Laden irgendwie zusammenzuhalten.
Besonders bedroht ist die junge Ehefrau und Mutter Halima (Diamand Abou Abboud): Sie vermisst ihren Mann, der kurz vor der geplanten Flucht in den Libanon noch einmal nach draußen gegangen ist. Sie muss ihr Baby beschützen (wie soll das gehen, wenn unentwegt die Kanonen krachen?). Und sie wird obendrein zum Opfer, als zwei ungebetene Gäste – Männer, natürlich – in die Wohnung eindringen.
Trotz aller Schicksalsschläge hat „Innen Leben“ aber auch Momente, die Mut machen. Man bekommt vorgeführt, dass außergewöhnliche Situationen im Menschen auch außergewöhnliche Fähigkeiten auslösen können. Man bewundert die Filmfiguren für ihre Kraft, selbst in Momenten größter Not noch nach Auswegen zu suchen.
Ganz nebenbei schenkt der Film dem europäischen Publikum auch noch einen neuen Blick auf die Flüchtlingsströme aus dem Kriegsgebiet: Spätestens, wenn man das Kino verlässt, versteht man jeden Menschen, der die Odyssee auf sich nahm, diesem Inferno zu entkommen.
IDEAL FÜR: Menschen, die einen realistischen Blick auf den Syrienkrieg (und auf das Schicksal von Zivilisten im Krieg schlechthin) nicht scheuen.