DIE STORY: Der Sundance-Hit „Ich, Earl und das Mädchen“ erzählt vom 17-jährigen Greg (Thomas Mann), der gemeinsam mit seinem Freund Earl (RJ Cyler) in der Freizeit Kurzfilme dreht und ansonsten wenig Kontakt mit anderen Menschen pflegt. Das ändert sich, als Greg auf Drängen seiner Mutter beginnt, sich um die gleichaltrige Rachel (Olivia Cooke) zu kümmern.
Langsam entsteht eine Freundschaft, die sich allerdings nicht unbeschwert entfalten kann: Rachel leidet an Leukämie.
DIE STARS: „Ich, Earl und das Mädchen“ bietet keine Stars auf, sondern junge Talente. Der Schauspieler mit dem Dichter-Namen Thomas Mann etwa war in „Project X“ und „Beautiful Creatures“ zu sehen, Olivia Cooke agierte im Grusel-Film „Ouija“, und RJ Cyler bringt TV-Erfahrung mit. Letzteres gilt auch für den texanischen Regisseur Alfonso Gomez-Rejon: Er inszenierte etliche Episoden der Serien „Glee“ und „American Horror Story“.
DIE KRITIK: Ach, was ist das nur mit diesen deutschen Filmtiteln. „Ich und Earl und das Mädchen“ hält die wichtigste Information zurück. Im englischen Original heißt der Gewinner des Großen Preises der Jury und des Publikumspreises beim Sundance Festival 2015 „Me and Earl and the Dying Girl“. Es geht also um den Tod. Den Tod und das Sterben. Im jugendlichen Alter.
Hauptfigur Greg hat es in seiner bisherigen Schulzeit geschafft, unter dem Radar zu fliegen, ist mit allen bekannt, aber mit keinem befreundet. Bloß nicht auffallen, lautet sein Motto. Earl, seinen besten Freund seit Kindertagen, sieht er eher als Kollegen. Denn gemeinsam haben sie bisher 42 Kurzfilme gedreht. Parodien auf Klassiker der Filmgeschichte.
Greg ist ein Teenager, der zu lange in seinen eigenen Filmen gelebt hat und plötzlich mit der Wirklichkeit konfrontiert wird. Rachel, eine Klassenkameradin, mit der er nie mehr als ein paar Wörter gewechselt hat, erkrankt an Leukämie. Seine Mutter zwangsverpflichtet ihn, sie zu besuchen. „Tag Eins der dem Untergang geweihten Freundschaft“, notiert Greg. Tag Eins von 209.
Es ist die Liebe zum Film, die „Ich und Earl und das Mädchen“ so wunderbar macht. Die Freunde gucken auf Youtube ein Making-of von „Fitzcarraldo“, an der Wand hängt ein „Mean Streets“-Plakat, Greg trägt ein „Nosferatu“-T-Shirt.
Regisseur Alfonso Gomez-Rejon war selbst Assistent von Legenden wie Martin Scorsese, Nora Ephron, Robert de Niro oder Alejandro González Inárritu. Ein Bild von Thelma Schoonmaker, der Cutterin von Scorsese, taucht als Bildschirmschoner auf. Neben dem Drehbuch von „Sodbrennen“ liegt das von „Casino“ auf Gregs Schreibtisch. Rachels Zimmer sieht aus, als habe es Wes Anderson ausgestattet.
Solche Feinheiten, die kleinen Verneigungen vor den ganz Großen tragen zum Charme des Films bei. Bei aller cinephilen Verspieltheit trifft Gomez-Rejon die lauten und die leisen Töne, die komischen, die lustigen und die traurigen.
„Ich, Earl und das Mädchen“ ist genauso ernst wie tragikomisch. Immer wieder spielt der Film mit den gängigsten Genre-Konventionen – nur, um sie direkt zu brechen. „Wäre das eine romantische Geschichte, würden sich jetzt unsere Augen treffen und wir würden uns unsterblich ineinander verlieben“, sagt Greg, als er mit Rachel auf dem Boden liegt, Popcorn isst und natürlich einen Film anschaut. Genau dieser Bruch macht den Film zu etwas Besonderem.
Gregs 43. selbstgedrehter Kurzfilm ist Rachel gewidmet: eine Drei-Akt Hommage an Andy Wahrhol, Stop-Motion und experimentelle Formen- und Farbfilmkunst. Bei der Präsentation an Rachels Krankenbett steht Greg im Licht seines eigenen Filmes und blickt über Rachel dem Tod ins Auge. Vielleicht ist der Moment des Sterbens der letzte große Film, den wir sehen. Unter unserer eigenen Regie. Ein schöner Gedanke – denn im Kino ist alles möglich.
IDEAL FÜR: Zuschauer, die starke Geschichten und Filme lieben, die Filme lieben.