DIE STORY: „Ich seh Ich seh“ erzählt von einer Mutter (Susanne Wuest), die von einer Gesichts-OP nach Hause kommt. Nicht nur äußerlich scheint sie völlig verändert. Ihre beiden Söhne (Lukas und Elias Schwarz) erkennen sie nicht wieder und beginnen einen Krieg gegen sie, der in einer Katastrophe endet.
DIE STARS: Braucht es nicht bei diesem unglaublich starken Arthaus-Horror, der sich wie beste David-Lynch-Filme in den Kopf des Zuschauers schleicht und dort festsetzt. Susanne Wuest („Antares“) als unterkühlte Mutter spielt großartig. Ebenso ihre Filmkinder Lukas und Elias Schwarz. Wie sie ihre Mutter quälen, irritiert zutiefst. Man mag gern wissen, wie sie das gespielt haben. Aber dann auch wieder nicht. Besser, wenn manche Dinge ungesagt bleiben.
Autorin/Regisseurin Veronika Franz, langjährige Filmjournalistin beim Wiener „Kurier“, ist die Ehefrau des Regisseurs Ulrich Seidl, mit dem sie zwei Söhne hat. Sie war in verschiedenen Funktionen (Casting. Regie-Assistentin, Co-Autorin) an vielen Seidl-Filmen beteiligt.
DIE KRITIK: Großes Kompliment an Veronika Franz. Ihr ist das gelungen, woran sich die Horrorfilm-Regisseure in den letzten Jahren immer wieder versucht haben. Und ständig sind sie gescheitert. Am Grusel, der nicht sofort in eine Schablone passt. Der es jedem recht machen will. Der nicht zu sehr verstören mag.
„Ich seh Ich seh“ ist Horrorkino, wie es zu seinen besten Zeiten immer war und immer sein sollte. Eine scheinbar einfache Geschichte, geradlinig erzählt, den Zuschauer immer wieder in eine falsche Richtung lockend, bei den Effekten sowohl auf das Erwartbare als auch auf den Schock setzend, mit einem grandiosen Twist aufwartend und soviel an Material in der Hinterhand habend, dass man nach dem Film wunderbar darüber reden kann. Und das mit dem allerersten Spielfilm. Veronika Franz und ihr Co-Regisseur Severin Fiala haben alles richtig gemacht.
Auf den ersten Blick glaubt man sich in einem der frühen Filme von Meisterregisseur Peter Weir. Zwei Jungen streifen durch die Natur. Es sieht alles nach Idylle aus. Aber irgendwie liegt eine Ahnung über diesen Bildern (und dem oft gesungenen Klassiker „Guten Abend, Gut Nacht“, dem hier die Unschuld komplett abhanden kommt), dass bald der Horror in den Alltag einbrechen wird.
Der kommt ganz langsam. Die Jungs wohnen mit ihrer Mutter in einem riesigen und sehr stylish eingerichteten Haus irgendwo im österreichischen Nirgendwo. Als die beiden vom Spielen in der Natur heimkommen, ist ihre Mutter wieder da, die – das erfährt man im Laufe des Films erst nach und nach – gerade aus dem Krankenhaus kommt.
Sie hat das komplette Gesicht bandagiert. Ihre Kinder erkennen sie nicht wieder. Was zum einen an den Binden, zum anderen aber auch an der innerlichen Veränderung liegt. Denn aus dem liebenden Muttertier – das den Kindern noch einen liebevollen Audio-Gute-Nacht-Gruß hinterlassen hat – ist eine kühl agierende Dame geworden, die statt mit Liebe und Hingabe nun mit strengen Regeln herrscht.
Die Jungs müssen immer leise sein, es darf niemand ins Haus gelassen werden und so weiter und so fort. Nach 17 Minuten fällt zum ersten Mal der verhängnisvolle Satz: „Du bist nicht unsere Mama“. Von da an ist alles anders. Die Kinder sind nicht länger die kleinen Wesen, die im Hort der Familie sie selbst sein dürfen. Sie wandeln sich von Minute zu Minute. Beobachten diese Frau, die sie nicht für ihre Mutter halten und tun ihr letztendlich Gewalt an, die nur schwer auszuhalten ist. Aber das sind keine dieser sinnlosen Gewalt-Attacken im Sinne der „Saw“-Filme. Hier macht alles Sinn. Von gewalttätigen – und irre gut fotografierten - Albträumen (Kamera: Martin Gschlacht) bis zu den Gewalt-Ausbrüchen der Mutter gegenüber.
Es verwundert nicht, dass der allgewaltige Filmpapst Harvey Weinstein den Film für eine US-Kino-Auswertung gekauft hat. Und nicht nur dort wünscht man dem Film ein möglichst großes Publikum. Eine kleine Einschränkung sollte man dennoch aussprechen: „Nur für Erwachsene“!
IDEAL FÜR: Kinozuschauer, die vom normalen Grusel-Horror-Film der letzten Zeit gelangweilt sind. Dieser Albtraum ist tiefsinnig, schnörkellos, lässt sich auf mehreren Ebenen deuten. Hat das Zeug zum Kultfilm!