Hot Air

Ein Schurke mit goldenem Herzen


FilmClicks:
Der konservative Radio-Moderator Lionel Macomb (Steve Coogan) ist für seine Fans ein Star © Kinostar
GESAMTEINDRUCK: „Hot Air“ ist eine milde Gesellschaftssatire und eine gute Gelegenheit für Hauptdarsteller Steve Coogan, dem Affen Zucker zu geben.
 
DIE STORY: Der amerikanische Radiomoderator Lionel Macomb (Steve Coogan) macht seit 20 Jahren das, was er am besten kann. Jeden Werktag schimpft er drei Stunden lang in seiner Sendung auf alles und alle, die ihn ärgern. Immer schön flach, immer schön grell und dem Volke nach dem Maul geredet. Das hat ihn bis ganz an die Spitze gebracht. Aber dann taucht seine Nichte Tess (Taylor Russell) auf. Es gilt, ihre Anwesenheit zu verdauen und ein altes Familiengeheimnis zu lüften. Die Folge: Lionel wird seine Sicht auf die Welt überdenken.

Die kesse Tess (Taylor Russell) gibt dem meinungsstarken Moderator Kontra © Kinostar

DIE STARS: Schon ein bisschen eigenartig. Aber der englische Schauspieler Steve Coogan wird stets ein wenig unterschätzt. Dabei konnte er erst in den letzten Monaten bei uns im Kino mit so unterschiedlichen Filmen wie „The Party“ oder „Stan & Ollie“ unter Beweis stellen, was für ein außergewöhnlicher Schauspieler er ist. Auch in „Hot Air“ darf er glänzen. Er gibt den äußerst wertkonservativen Dampfplauderer genauso überzeugend wie den Menschen, der Reue zeigt und sich wandelt.
Taylor Russell als seine Nichte ist ein herrlich unverschämt frischer Backfisch. Sie lockt den alten Grummler Stück für Stück aus seiner Deckung. Aber die wahre Überraschung des Films ist Neve Campbell. Mit den „Scream“-Filmen vor vielen Jahren wurde sie zum Star. Dann war etliche Jahre nichts mehr von ihr zu hören. Nun spielt sie als Lionel Macombs Sekretärin und Geliebte das gute Gewissen in der Geschichte. Das Bindeglied zwischen zwei Menschen, die radikale Positionen vertreten. Das macht sie mit ihrer Leinwandpräsenz, die ein wenig an wohltuenden Sonnenschein im Herbst erinnert, einfach hinreißend. Gern demnächst wieder mehr von und mit ihr. 

Im Licht der Öffentlichkeit fühlt sich Lionel Macomb (Steve Coogan) am wohlsten © Kinostar

DIE KRITIK: „Hot Air“ erzählt eine Geschichte, die es in Literatur und Film schon sehr häufig gegeben hat. Es geht um einen Menschen, der durch verschiedene Ereignisse, die ihm passieren, geläutert wird. Das hat Charles Dickens ganz wunderbar in seiner „Weihnachtsgeschichte“ verarbeitet. Der reiche und unnahbare Mensch, der in Konventionen gefangen ist und durch einen Verwandten auf den rechten Weg gebracht wird: das wiederum kann man sich in den verschiedenen Verfilmungen von „Der kleine Lord“ anschauen. 
Regisseur Frank Coraci („Eine Hochzeit zum Verlieben“) hat seinen liebevoll gemachten und dennoch etwas weichgespülten Film „Hot Air“ genau dazwischen platziert. Lionel Macomb ist ein typischer Ebenezer Scrooge, der jede Menge Reichtum (und in dem Fall auch Ruhm) angehäuft hat. In seinen Sendungen – und das weiß er genau – bedient er jedoch die niederen Instinkte. Immer wieder sagt er: „Gebt mir die Unzufriedenen und Wütenden!“ Und zur aktuellen Politik: „Eine Mauer? Ich finde, ein tiefer Graben wäre besser!“ Wer dabei an einen momentan tätigen Politiker denken mag, ist dazu herzlich eingeladen.
Aber dann taucht eines Tages seine Nichte auf. Tess ist ein wütender Teenager. Die Mutter hat sie ein ums andere Mal im Stich gelassen. Zurzeit ist sie in einer Entzugsklinik und die Damen haben einen Deal. Gelingt der Entzug, dann geht Tess studieren.
Zwischendurch nistet sich Tess bei ihrem Onkel ein, der erst total genervt ist von ihr, aber zunehmend erkennen muss, dass das Mädchen Wesenszüge trägt, die er von sich selbst kennt. So wächst langsam eine Gemeinschaft zusammen, die Regisseur Coraci mit vielen schönen Ideen versieht. So meckert Tess die ganze Zeit über die Art, wie ihr Onkel sein Geld verdient. Aber sie wohnt hochherrschaftlich bei ihm. Trägt Sachen, die er bezahlt hat. Also „wohl doch keine so schlechte Sache, dieser Job, der so viel Geld bringt?“ fragt Lionel seine Nichte.
Das Ende könnte man sich denken. Alle geläutert und so? Happy Family? Zum Glück war das Team um Frank Coraci so clever, dann doch noch eine Überraschung einzubauen. Der größte Clou aber gelingt ihm 20 Minuten zuvor. Da tritt Lionel Macomb in einer Talkshow auf und redet die Menschen im Studio und vor den Fernsehern mehrere Minuten in Grund und Boden. Das geht sehr schnell vom Glauben an die Politiker und vom Abgeben von Verantwortung, geht über die Verlogenheit unseres Konsumwahns und endet mit einem Appell, über all das mal nachzudenken. Da sollte jeder Kinogänger gut zuhören und in sich gehen. Besser wäre es!
 
IDEAL FÜR: Alle, die im Kino gern dabei zuschauen, wie ein Schurke mit Goldenen Herzen zu einem Beinahe-Guten wird. 
 






Trailer
LÄNGE: 103 min
PRODUKTION: USA 2019
KINOSTART Ö: 06.09.2019
REGIE:  Frank Coraci
GENRE: Drama|Komödie
ALTERSFREIGABE: ab 6


BESETZUNG
Steve Coogan: Lionel Macomb
Taylor Russell: Tess
Neve Campbell: Valerie Cannon