Hirngespinster
Gefangen im Kerker der Psychose
DIE STORY: „Hirngespinster“ ist ein Drama über eine Familie mit einem praktisch unlösbaren Problem. Hans Dallinger (Tobias Moretti) – liebender Vater, Ehemann und einst erfolgreicher Architekt – leidet an einer Psychose. Die Schizophrenie macht es ihm und seiner Umwelt immer schwerer, ein halbwegs ausgeglichenes Leben zu führen.
Die Familie hat sich irgendwie arrangiert. Elli Dallinger (Stephanie Japp), die Ehefrau, verdient mit ihrem Job gerade genug, um die Rechnungen zu bezahlen. Simon (Jonas Nay), der 22-jährige Sohn, ist der ruhende Pol im Haushalt und umsorgt auch seine kleine Schwester Maja (Ella Frey). Der Architekt sitzt derweil, wenn er bei Sinnen ist, am Schreibtisch und entwirft ein neues Projekt. Einen Museumsbau.
Dann verliebt sich Simon in die Studentin Verena (Hanna Plass). Doch er weiß: Sollte er mit ihr zusammenziehen, besteht die große Gefahr, dass daheim alles zusammenbricht.
DIE STARS: Der Tiroler Tobias Moretti fügt den vielen Facetten seiner Schauspielkunst eine weitere Glanzleistung hinzu. Sein Porträt eines seelisch kranken Mannes hält perfekt die Balance zwischen Sinn und Irrsinn. Sein Hans Dallinger ist ein liebevoller Schreckensmann, der in jeder Sekunde von der Krankheit gepackt werden kann. Moretti erhielt für diese Rolle den Bayerischen Filmpreis als bester Hauptdarsteller. Sein Film-Sohn Jonas Nay, regelmäßig in TV-Filmen zu sehen, gewann die Nachwuchs-Kategorie. Mit der Bühnen-Schauspielerin Hanna Plass, fix engagiert am Staatstheater Stuttgart, beweist eine weitere junge Darstellerin großes Film-Talent.
DIE KRITIK: Es beginnt damit, dass Hans Dallinger die Satelliten-Antenne des Nachbarn abmontiert, heimlich und mitten in der Nacht. Er fühlt sich bedroht von dem Ding, das doch nur dazu da ist, um ihn zu überwachen; man weiß ja…
Da ahnt Dallingers Familie: Es wird wieder einmal schlimmer. Die Psychose hat zu einem neuen Schub angesetzt. Die Schizophrenie nimmt den Architekten gefangen und macht ihn zur Gefahr für sich selbst und die Umwelt. Als nebenan eine neue Antenne montiert wird, geht Dallinger mit der Axt auf die Techniker und ihr Auto los. Festnahme, Einweisung, geschlossene Anstalt.
Tobias Moretti spielt den kranken Mann mit rabiater Verzweiflung, mit rabiatem Zorn. Und rund um ihn leidet seine Familie, die keine Vorstellung davon hat, wie sie mit diesem lebenslänglichen Wahn umgehen soll. Weil es keine Heilung gibt. Nur Psychopharmaka versprechen Linderung. Doch diese Form der Behandlung lehnt Hans Dallinger mit allen Mitteln ab.
„Hirngespinster“ wird aus der Perspektive des jungen Simon (Jonas Nay) erzählt, der seine eigenen Lebensträume hintanstellt, um daheim das mühsame Gleichgewicht aufrecht zu erhalten. Als er sich verliebt, ist das eher Albtraum als Traum. Denn einmal mehr muss sich der 22-Jährige zurücknehmen, weil grünes Licht für seine Gefühle mit rotem Licht für den Familienfrieden gleichzusetzen wäre. Um den Status Quo zu halten, wird er daheim gebraucht. Mit vollem Einsatz. Das ließe sich mit einer Beziehung nicht vereinbaren.
Das Drama, von Autor/Regisseur Christian Bach mit analytischer Direktheit inszeniert, lässt seinen Protagonisten im Grunde kaum eine Chance. Hans, der Architekt, wird wohl auf ewig im Kerker seiner Psychose eingemauert sein. Seine Frau, seine Kinder, sind mitgefangen. Für sie würde sich nur dann ein Ausweg finden lassen, wenn sie sich von dem Patienten abwenden.
Irgendwann, wenn die Situation immer weiter eskaliert, stellt der Film Jonas vor diese Frage - ob er das eigene Leben oder das Leben der Anderen führen will. Eine verdammt schwere Entscheidung. Ein eindrucksvoller, schwerer Film.
IDEAL FÜR: alle, die wissen wollen, welch massive Störungen seelische Krankheiten auslösen können – nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für deren Umwelt.