DIE STORY: Die Tragikomödie „Ein ehrenwerter Bürger“ ist ein Prachtstück von einem Film über die Frage, was passieren kann, wenn elitäre Hochkultur und biederes Provinz-Bürgertum ungebremst aufeinander losgelassen werden.
Der Plot: Der fiktive argentinische Literatur-Nobelpreisträger Daniel Mantovani (Oscar Martinez) lebt ein luxuriöses, aber zurückgezogenes Leben in seiner Wahlheimat Spanien. Das Schreiben hat er vor fünf Jahren eingestellt („ich habe nichts zu sagen“). Die Einladungen zu Ehrungen oder Vorträgen, die ständig mit der Post kommen, gehen ihm auf die Nerven.
Doch dann flattert ein Brief ins Haus, der sein Interesse weckt. Seine Geburtsstadt Salas, ein argentinisches Nest weit fort von Buenos Aires, will dem berühmten Sohn der Stadt die Ehrenbürgerwürde verleihen.
Mantovani willigt ein. Erstmals seit 40 Jahren kehrt er zurück nach Salas. Dort wird er mit Pauken und Trompeten empfangen. Bald trägt er die Ehrenbürger-Medaille um seinen Hals. Nicht nur das: Alte Freunde und junge Mädchen schmeißen sich an den Dichter ran. Sie sind voller Verehrung für den prominenten Mann – und voller Bereitschaft zu tiefer Kränkung, wenn Mantovani nicht so reagiert, wie sie wollen.
So dauert es nicht lange, bis die Stimmung umschlägt. Die Provinzler nähern sich dem Dichter mit unverhohlener Aggression. Doch Antonio (Dady Brieva), sein Kumpel aus alten Tagen, der mit Mantovanis Ex-Flamme Irene (Andrea Frigerio) verheiratet ist, macht da nicht mit. Er lädt den Autor zu einer Jagd ein. Auf Wildschweine. In der Nacht. Ob es eine gute Idee ist, daran teilzunehmen?
DIE STARS: Hauptdarsteller Oscar Martinez zählt seit langem zu den renommiertesten Schauspielern Argentiniens. In Europa ist er allerdings nur Insidern bekannt – zuletzt war er bei uns 2015 in der Arthaus-Farce „Wild Tales – Relatos Salvajes“ zu sehen. Für seine Rolle in „Ein ehrenwerter Bürger“ wurde er 2016 beim Filmfest Venedig als bester Schauspieler ausgezeichnet.
Die Regisseure und Produzenten Gastón Duprat und Mariano Cohn, die stets gemeinsam arbeiten, drehen sowohl Dokumentationen als auch Spielfilme. Mit „Ein ehrenwerter Bürger“ landeten sie einen Hit: Der Film kam in Argentinien auf 600.000 Kinobesucher.
DIE KRITIK: „Warum schreiben Sie nicht über schöne Dinge?“ fragt die Hausfrau den Nobelpreisträger. Spätestens in diesem Moment resigniert der berühmte Mann: „Ich gebe auf.“ Da ist ihm endgültig klar, dass die Reise in seine Geburtsstadt (die er in seinen Romanen immer wieder vorkommen lässt) ein Fiasko ist.
Was als angenehmer Heimatbesuch gedacht war – der Dichter schwelgt in Nostalgie, die Einheimischen artikulieren ihren Stolz auf ihn -, entpuppt sich bald als veritabler Albtraum. Das Unverständnis der braven Bürger dafür, dass es in der Literatur nicht darum geht, „schöne Dinge“ zu beschreiben, ist dabei noch das kleinste Problem. Hier prallen Welten aufeinander.
Der Nobelpreisträger kommt gar nicht auf die Idee, von seiner intellektuellen Wortwahl und seinen gewohnten ästhetischen Maßstäben herunterzusteigen (in einer hinreißend grotesken Szene muss er als Juror über die grottenschlechten Bilder eines lokalen Malwettbewerbs entscheiden).
Die Einheimischen wiederum nehmen den Dichter als überheblichen Rechthaber wahr. Ihr Unmut, gewürzt durch Neid und Eifersucht, wächst. So lange, bis nicht mehr nur mit Worten gefochten wird.
„Ein ehrenwerter Bürger“ ist eine schwarze Komödie, über die man sich wunderbar amüsieren kann. Allerdings bleibt einem öfter mal das Lachen im Halse stecken.
Denn der großartige Film lässt sich nicht nur als Groteske aus der Welt der Kunst interpretieren. Man kann die Geschichte auch als Gleichnis dafür begreifen, wie Populismus, Nationalismus oder Fremdenfeindlichkeit entstehen.
IDEAL FÜR: Literatur- und Filmfreunde, die sich gern auf hohem Niveau unterhalten lassen – auch wenn die Botschaft des Films mitunter schmerzt.