DIE STORY: „Dunkirk“ ist der erste Kriegsfilm des britischen Regie-Stars Christopher Nolan, dessen Haupt-Metiers bislang Science Fiction („Inception“) und Superhelden („The Dark Knight“) waren.
In „Dunkirk“ schildert Nolan die Schlacht von Dünkirchen im Frühjahr 1940. Die Truppen des britischen Expeditionskorps waren nach dem schnellen Westfeldzug der Hitler-Armee in dem nordfranzösischen Küstenort von drei Seiten eingeschlossen. Nur der Weg übers Meer blieb noch frei.
Die Briten entschieden sich, ihre Armee heimzuholen, um die Insel nicht ungeschützt zu lassen. Mit einem Großaufgebot von Schiffen, darunter unzählige private Boote und Kutter, gelang es, in wenigen Tagen mehr als 330.000 britische Soldaten zurückzubringen, bevor Dünkirchen am 4. Juni 1940 von den Deutschen eingenommen wurde.
Der Film dokumentiert die Kämpfe und die Rückholaktion in drei zeitlich verschränkten Episoden.
Die erste Geschichte dreht sich um die jungen Soldaten Tommy (Fionn Whitehead), Gibson (Aneurin Barnard) und Alex (Harry Styles), die am Strand von Dünkirchen alles daransetzen, möglichst rasch einen Platz auf einem der Schiffe nach England zu bekommen.
Die zweite Episode erzählt vom englischen Bootsbesitzer Dawson (Mark Rylance) der mit seinem Sohn und dessen Freund gen Frankreich in See sticht, um möglichst viele Soldaten einzusammeln und heil über den Ärmelkanal zurückzubringen.
Die dritte Story schließlich spielt in der Luft. Hier geht’s um den britischen Piloten Farrier (Tom Hardy) und seine Geschwader-Kollegen, die mit ihren Spitfire-Fliegern versauchen, die deutschen Bomber und Jagdflugzeuge zu dezimieren.
DIE STARS: Christopher Nolan bietet in „Dunkirk“ große Namen auf; voran Tom Hardy („The Revenant“), Oscar-Preisträger Mark Rylance („Bridge of Spies“) und Shakespeare-Spezialist Kenneth Branagh, der einen britischen Offizier spielt.
Sie alle stellen sich – genauso wie die Jungen im Ensemble, unter ihnen One-Direction-Sänger Harry Stiles – komplett und uneitel in den Dienst des Projekts: Der Ensemblefilm „Dunkirk“ gibt keinem Schauspieler große Chancen, persönlich zu glänzen. Was hier glänzt, das ist das Gesamtkunstwerk eines eindringlichen Kriegsfilms, der wohl eine wichtige Rolle im Oscar-Rennen 2018 spielen wird.
DIE KRITIK: „Dunkirk“ braucht keine drei Minuten, um den ganzen Schrecken des Krieges auf die Leinwand zu bannen.
In der ersten Szene sieht man ein paar blutjunge britische Soldaten, die durch das menschenleere, noch unzerstörte und scheinbar friedliche Dünkirchen marschieren. Vom Himmel flattern Flugzettel, mit denen die Hitler-Truppen die Briten zur Kapitulation auffordern. Dann fallen aus einem Hinterhalt plötzlich Schüsse, die Engländer rennen los. Doch bevor sie ein paar Meter weiter eine rettende Mauer erreichen, sind bis auf einen schon alle tot.
Ein Krieg ist kein Schauplatz fürs Heldentum, sagt diese lakonisch erzählte Szene aus. Ein Krieg ist kein Abenteuer, sondern ein mörderischer Wahnsinn, der seine Opfer in Windeseile und nach dem Zufallsprinzip tötet. Wer in einem Krieg mittendrin steckt, der hat, wenn er halbwegs bei Verstand ist, nur ein einziges Ziel: Möglichst rasch und möglichst unversehrt wieder rauszukommen.
Raus wollen fast alle der Männer, die Christopher Nolan in „Dunkirk“ auftreten lässt. In langen Schlangen stehen die britischen Soldaten am Strand und warten auf die Schiffe, die sie zum Heimtransport über den Ärmelkanal abholen sollen. Vollkommen ungeschützt stehen sie da und geben natürlich ein perfektes Ziel für deutsche Flugzeuge ab, die gelegentlich mit infernalischem Heulen herunterstürzen. Dann fallen Bomben, dann fallen viele Engländer tot um, und die anderen, die Glück gehabt haben, warten weiter. Ein Schiff wird kommen.
Hitlers Wehrmacht bleibt in „Dunkirk“ praktisch unsichtbar. Nur die Kampfflieger der Luftwaffe kommen manchmal wie todbringende Insekten ins Bild. Aber auch hier sieht man keine Gesichter, sondern nur die Flugmaschinen. Denn „Dunkirk“ ist kein Film über Gut und Böse oder über Helden und Schurken (obwohl der Schurkenpart natürlich den deutschen Aggressoren gehört). Es ist eine beklemmende und auch spannungsgeladene Spielfilm-Reportage über Menschen und ihre Art, mit der Extremsituation des Krieges umzugehen.
In klaren Bildern (Kamera: Hoyte van Hoytema) und analytischem Stil führt Nolan seine Protagonisten vor: Da sind die Jung-Soldaten, die in ihrer Todesangst und ihrem Lebenshunger den Gehorsam ablegen und jeden Trick ausprobieren, um möglichst rasch auf ein Boot zu kommen. Da ist der traumatisierte schiffbrüchige Kämpfer, der von einem noch leeren Schiff aus dem Wasser gefischt wird und der dann fast durchdreht vor Panik, als er merkt, dass die Reise nicht sofort nach England, sondern erst einmal in Richtung Dünkirchen geht.
Der Skipper und sein Sohn, die mit dem eigenen Boot zum Soldatenretten unterwegs sind, lassen sich mit einer fast heiteren Gelassenheit auf ihre gefährlichste Ausfahrt ein – schließlich wissen sie noch nicht, was sie erwartet. Die Spitfire-Piloten hingegen wissen genau, dass jeder Flug ihr letzter gewesen sein kann. Trotzdem stellen sie sich bis zur letzten Patrone und bis zum letzten Tropfen Sprit ihren Gegnern, um Unheil von den Kameraden am Boden abzuwenden.
Wenn im Finale die britischen Boote in Scharen mit geretteten Soldaten zurückkehren, schenken Nolan und sein deutscher Komponist Hans Zimmer diesen Szenen eine Prise voll klanglichem Pathos. Aber davon abgesehen ist dieser bravouröse Kriegsfilm, der erstaunlich wenig Gewalt zeigen muss, um eine Aura intensiver Gewalt zu erzeugen, für Heldensagen nicht geeignet. Man kann „Dunkirk“ durchaus als pazifistisches Manifest und als Warnung verstehen: Krieg macht kaputt, Krieg macht tot. Tut alles, um ihn zu verhindern.
IDEAL FÜR: alle Filmfreunde, die einem außerordentlich gut gelungenen Kriegsfilm etwas abgewinnen können.