GESAMTEINDRUCK: Die französische Romanze „Die schönste Zeit unseres Lebens“ ist einer der schönsten Filme des Jahres. Man ist Gast bei inszenierten Zeitreisen, die eine Brücke von der Gegenwart in die Vergangenheit schlagen.
DIE STORY: Der alternde Comic-Zeichner Victor (Daniel Auteuil) ist ein frustrierter Mann. In seiner Kunst hat er den Anschluss verloren. Seine Ehe mit der Psychoanalytikerin Marianne (Fanny Ardant) steht vor dem Aus. Da macht ihm der Illusions-Impresario Antoine (Guillaume Canet) ein Angebot. In seiner Agentur kann Victor ein wichtiges Ereignis aus seiner Vergangenheit noch einmal nachleben. Victor wählt den Tag im Jahr 1974, an dem er Marianne kennenlernte. Der Schauplatz – das Café „La Belle Époque“ – wird als Kulisse nachgebaut. Kaum hat Victor Platz genommen, betritt die Schauspielerin Margot (Doria Tillier) als junge Marianne den Laden…
DIE STARS: Die Weltpremiere von „La Belle Époque“ (so der Originaltitel des Films) fand im Mai 2019 beim Festival Cannes statt – eine große Ehre für den 39-jährigen Autor/Regisseur Nicolas Bedos, der mit der Zeitreise-Komödie erst seine zweite Spielfilm-Inszenierung vorlegte.
Für die Hauptrollen holte Bedos mit Daniel Auteuil („Meine liebste Jahreszeit“), Fanny Ardant („Die Frau nebenan“) und Guillaume Canet („The Beach“) drei der größten Stars des französischen Films vor die Kamera. Doria Tillier (privat die Lebensgefährtin von Regisseur Bedos) legt als Margot eine souveräne Talentprobe ab.
DIE KRITIK: Egal, ob „Zurück in die Zukunft“ oder „Und täglich grüßt das Murmeltier“: Zeitreisen zählen zu den ewigen Lieblingsthemen des Films. „Die schönste Zeit unseres Lebens“ fügt dem Genre einen neuen Aspekt hinzu. Hier wird nicht so getan, als wären die Expeditionen durch Zeit und Raum irgendwie real. Ganz im Gegenteil: Die Ereignisse laufen erkennbar in einer Kulissenwelt ab, mit gezimmerten Dekorationen, mit Schauspielern und Statisten sowie einer Regie-Kabine, aus welcher der Lauf der Dinge gesteuert wird.
Die Kunden und Gäste des Impresarios Antoine wissen also, dass sie an einem Spiel teilnehmen. Doch die Szenen wecken so viel Magie, dass der Zauber stets funktioniert. Egal, ob historische Szenen nachgestellt werden, ob es um persönliche Begegnungen geht (ein alter Mann trifft in der Rolle eines jungen Mannes immer wieder seinen längst verstorbenen Vater) oder um eine große Liebe, deren Erblühen etliche Jahrzehnte zurückliegt.
Autor/Regisseur Nicolas Bedot hat seine Versuchsanordnung mit größter Raffinesse arrangiert. In der ersten Szene glaubt man, in einem Kostümfilm zu sitzen. Dann wechselt das Geschehen in eine Gegenwart, die für die Hauptfiguren Victor und Marianne eine freudlose ist. Marianne, des Zynismus und des Gejammers ihres Gemahls überdrüssig, hat sich längst heimlich einen Lover genommen.
Doch bevor die Atmosphäre allzu trist wird, geht’s vorwärts in die Vergangenheit. Willkommen im Café „La Belle Époque“: Wenn Daniel Auteuil als Zeitreisender Victor ins Jahr 1974 eintaucht, dann wird sein altes Herz binnen Sekunden wieder jung. Neugierig schaut er sich um in der vertrauten Umgebung seiner Jugend.
Höchst spielerisch wird der Kontrast zur Gegenwart aufgebaut: Die Welt von einst, in der mit Hingabe debattiert und geflirtet wird, scheint überaus verlockend. Statt Smartphones in jeder Hand gibt’s in diesem Café nur ein einziges Gemeinschaftstelefon für alle; selbstverständlich mit Wählscheibe. Und zur optimistischen Grundstimmung jener Jahre passt auch die Tatsache, dass an allen Tischen sorglos getrunken und gequalmt wird. Gesundheitswarnungen waren 1974 kein besonders großes Thema.
Man könnte genussvoll viel Zeit in dieser wohligen Umgebung verbringen. Aber dann kommt die Schauspielerin Margot, gespielt von der Schauspielerin Doria Tillier, als Wiedergängerin von Victors großer Liebe Marianne bei der Tür herein. Ihr Auftritt: Eine Erscheinung. Schlagartig beginnt die Atmosphäre zu knistern. Man spürt, dass zwischen dieser Frau und Victor, der mit irgendeinem dahingestammelten Satz die Konversation beginnt, etwas Großes entstehen kann.
Auch hier verknüpft Regisseur Bedos geschickt Illusion und Realität. Denn natürlich verliebt sich Victor nicht nur in die Marianne von 1974, sondern auch in die Margot von 2019, die privat freilich ein vollkommen anderes (und höchst kompliziertes) Beziehungsleben führt. Es beginnt ein sinnliches Ping-Pong, in dem Traum und Wirklichkeit immer wieder mächtig aufeinander prallen. Und in dem auch Fanny Ardant als echte Marianne große Auftritte hat, die plötzlich bemerkt, dass ihr miesepetriger Gemahl wieder lächeln kann.
So sorgt „Die schönste Zeit unseres Lebens“ für 110 wunderbare Minuten im Kino: Als Zeitdokument, als phantasievolles und phantastisches Spiel der Illusionen – und natürlich als große Liebesgeschichte.
IDEAL FÜR: FreundInnen kluger und sinnlicher Romanzen mit typisch französischem Flair.