Der Medicus
Die Weisheit kommt aus dem Morgenland
DIE STORY: „Der Medicus“ ist die Verfilmung des gleichnamigen Bestsellers von Noah Gordon. Im Mittelpunkt steht der junge Engländer Rob Cole (Tom Payne), der im 11. Jahrhundert aus dem mittelalterlich dumpfen Europa in den Orient aufbricht, um dort die Heilkunst zu erlernen. In der persischen Stadt Isfahan wird Cole zum Schüler des großen Mediziners Ibn Saud (Ben Kingsley). Der hochbegabte Engländer treibt gemeinsam mit Ibn Saud die medizinische Forschung voran. Doch bei konservativen Muslimen stößt er damit auf Widerstand.
DIE STARS: Der junge Tom Payne nutzt die Chance, sich mit der Rolle des Rob Cole ins Rampenlicht zu spielen. Dort sind Stellan Skarsgard (als rauer britischer Bader mit weichem Kern), Ben Kingsley (als Weiser aus dem Morgenland) und Halle Berrys Gemahl Olivier Martinez (als glutäugiger persischer Herrscher) längst zu Hause. Elyas M’Barek („Fack ju, Göhte“) und Fahri Yardim (Star der ORF-Serie „Cop Stories“) spielen wichtige Nebenrollen.
KURZKRITIK: Der deutsche Regisseur Philipp Stölzl („Nordwand“) inszeniert im Grunde nicht einen, sondern gleich drei Filme: Die 155 Kinominuten verteilen sich auf die Jugend von Rob Cole in England, seine Expedition ins Morgenland und seine Tätigkeit in Persien. Die Episoden in England und Persien sind fesselnd; die große Reise wird eher langatmig geschildert. „Der Medicus“ bietet solides Kostümkino voller Spannung und bewegender Themen. Zum großen Wurf reicht es allerdings nicht: Man merkt dem Film immer wieder die latente Biederkeit einer deutschen TV-Produktion an („Der Medicus“ wurde vom ARD-Schnulzenhaus Degeto koproduziert).
IDEAL FÜR: die „Medicus“-Leser (der Roman wurde auf Deutsch sechs Millionen Mal verkauft) und für die Liebhaber historischer Filmstoffe.
FilmClicks Kritik. Im England des Jahres 1021 eine Infektion am Fuß zu bekommen, war vielleicht keine so gute Idee. Ein Holzstück zum Draufbeissen als Narkose, ein prüfender Blick des Baders – und dann wurde gesägt; sprich: amputiert.
Dass diese Form der Heilkunst nicht der Weisheit letzter Schluss sein kann, dämmert dem jungen Bader Rob Cole (Tom Payne), als er einem reisenden jüdischen Mediziner dabei zuschaut, wie der seinen Chef (Stellan Skarsgard) am Auge operiert. Er hört von einem arabischen Gelehrten namens Ibn Saud (Ben Kingsley), der im fernen Persien Medizin unterrichtet. Rob Coles Entschluss steht fest: Dort will er hin, um vom Bader zum Arzt zu werden.
Denn im Europa des Mittelalters ist es, was die Wissenschaft betrifft, wirklich finster. Ärzte gibt es praktisch nicht. Die Bader, die außer der Amputation auch das Zähneziehen beherrschen, haben keine Ahnung davon, was im menschlichen Körper abläuft. Sie arbeiten nach einer schlichten Erkenntnis: „Je schmerzhafter die Behandlung, umso größer der Respekt für den Bader“.
Der erste Teil von „Der Medicus“ schildert die Jugend der Titelfigur Rob Cole: Der Waisenjunge wächst als Gehilfe eines rauen Baders auf (Stellan Skarsgard spielt ihn mit übellauniger Herzlichkeit) und entdeckt schon früh ein ganz spezielles Talent: Er hat ein sicheres Gefühl dafür, wann ein Kranker den Atem des Todes fühlt. Seine Mutter ist an der „Seitenkrankheit“ (wohl einer Blinddarmentzündung) gestorben. Seither beseelt ihn der Wunsch, die Heilkunde zu erlernen.
Der Film erzählt diese Story mit allen Zutaten des Kostümkinos: Die Schauwerte sind hoch, die Figuren sind holzschnittartig gezeichnet. Doch in den Dialogen schimmern immer wieder interessante Themen auf: Etwa dann, wenn der jüdische Arzt erzählt, die Juden seien die einzigen Fremden, die von den Muslimen im Morgenland akzeptiert würden (Rob Cole wird sich später auf seiner Reise selbst beschneiden, um seine christliche Herkunft zu verschleiern).
Ganz generell liefert der vergleichende Blick auf Europa und den Nahen Osten einige der fesselndsten Aspekte des Films: Das England des Mittelalters ist eine unziviliserte Welt, während im Orient die Weisheit und der Fortschritt wohnen. Das dreckige London wirkt im Vergleich zum eleganten Isfahan wie ein Schreckensort in der tiefsten Provinz.
Freilich gibt’s auch im Islam von damals, so erzählt es „Der Medicus“, schon fundamentalistische Strömungen, die den Fortschritt verdammen. Der Gelehrte Ibn Saud (Ben Kingsley legt ihn mit fürstlicher Grandezza an) ist trotz seiner medizinischen Erfolge in Isfahan nicht unumstritten. Als sein Schüler Rob Cole an einem Toten eine Obduktion vornimmt, um mehr über den menschlichen Körper zu lernen, löst das eine Revolte aus, die bis zum Todesurteil für den Jung-Mediziner führt (wie’s so ist im Kino, naht die Rettung dann in letzter – nein: in allerallerletzter – Sekunde).
„Der Medicus“ breitet ein großes Paket an Themen und Geschichten aus; es geschieht mehr, als in einem Film normalerweise Platz hat. Regisseur Philipp Stölzl verknüpft die Handlungsstränge recht geschickt, stößt jedoch beim Drehbuch von Jan Berger („Im weißen Rössl – Wehe Du singst!“) immer wieder an Grenzen: Die spannenden Passagen des Films werden mitunter so massiv mit Kitsch und Zufall vermanscht, dass kein wirklich großes Werk entstehen kann. Für ein interessantes Historien-Kinoerlebnis reicht es aber allemal.