GESAMTEINDRUCK: „Der Klavierspieler vom Gare du Nord“ ist ein bewegendes Drama aus Frankreich über die Magie und die heilende Kraft der Musik.
DIE STORY: Als der junge Mathieu (Jules Benchetrit) eines Tages auf einem öffentlichen Instrument am Pariser Nordbahnhof ganz hinreißend Klavier spielt, wird er entdeckt. Vom Leiter des Konservatoriums (Lambert Wilson) – aber auch von der Polizei, die dem wilden Jungen aus der Vorstadt wegen kleiner Straftaten auf der Spur ist. Mathieu haut ab, wird aber später vom Konservatoriums-Professor wiedergefunden. Der setzt es sich in den Kopf, den hochtalentierten Mathieu zum Konzertpianisten auszubilden. Ein Geschenk, gegen dessen Annahme sich der junge Mann erst einmal nach Kräften wehrt.
DIE STARS: Der 21-jährige Hauptdarsteller Jules Benchetrit ist bei uns noch weitgehend unbekannt. Dabei stammt er aus einer berühmten Schauspieler-Familie: Er ist der Sohn der 2003 ermordeten Marie Trintignant und der Enkel von Filmlegende Jean-Louis Trintignant. Sein Vater, der Schauspieler Samuel Benchetrit, heiratete 2018 Vanessa Paradis. So könnte man sagen, dass Paradis, die Ex von Johnny Depp, nun Jules Benchetrits Stiefmutter ist.
Mit Lambert Wilson und Kristin Scott Thomas (Oscar-Nominierung für „Der englische Patient“) bemühen sich zwei sehr renommierte Schauspieler um die Piano-Ausbildung von Jules Benchetrits Figur Mathieu. Karidja Touré spielt wunderbar Cello und bewegt das Herz des jungen Mannes. Regisseur Ludovic Bernard, der aus der Festival-Stadt Cannes stammt, etabliert sich nach langen Jahren als Assistent oder Second Unit Director allmählich auch auf dem Regiesessel.
DIE KRITIK: Der junge Pariser Mathieu ist im Leben mit einem Handicap und einem Privileg an den Start gegangen. Das Handicap: Als Kind aus den armen Vorstädten kam er auf der Schattenseite zur Welt. Das Privileg: Er ist ein musikalisches Naturtalent, dessen Fähigkeiten früh erkannt wurden. Ein Klavierlehrer aus der Nachbarschaft nahm ihn schon als Kind unter seine Fittiche und bildete ihn aus.
Auf dem Weg zum Erwachsenwerden ist dieser Mathieu aber mehr Kleinganove geworden als Klavierspieler. Es genügt ihm, wenn er sich hin und wieder am Gare du Nord ans Piano setzen kann. Sein Geld verdient er – regulär ohne vernünftigen Job – mit den Gaunereien der Jungs aus seiner Clique.
„Der Klavierspieler vom Gare du Nord“ erzählt nun die Geschichte, wie dieser Mathieu mit der unverhofften Chance umgeht, zum seriösen Künstler zu werden. Das Geschehen auf der Leinwand ist von einer gewissen Formelhaftigkeit geprägt. Trotzdem schafft es Regisseur Ludovic Bernard, das Publikum in seinen Bann zu ziehen.
Wie kaum anders zu erwarten, kann der wilde Hund Mathieu dem Ansinnen, zum Konservatoriums-Zögling zu werden, erst einmal wenig abgewinnen. Weil Disziplin nicht sein Ding ist. Weil er (noch) nicht Notenlesen kann, sondern alles nach Gehör spielt. Weil er am Kons nicht nur musikalische Höhenflüge erlebt, sondern auch den Boden aufwischen muss. Letzteres ist die Folge einer Verurteilung, die er mit Sozialdienst abbüßen muss.
Auch die Figuren rundherum durchkurven ihren persönlichen Parcours voller Probleme. Mal wird über den idealen Kandidaten für einen großen Piano-Wettbewerb gestritten, mal geht’s um Familien- und Eheprobleme, mal um eine gewisse Überheblichkeit, ob es ein rauer Geselle wie Mathieu überhaupt verdient hat, an der Eliteschule zu lernen. Und zwischendurch sorgt auch noch die Liebe für Herzklopfen.
Kurzum: „Der Klavierspieler vom Gare du Nord“ ist ein Film, der die Drehbuchregel Nummer eins bis ins Detail beherzigt: Konflikt ist Drama. Das Geschehen ist vollgestopft mit Konflikten aller Art, wobei das Publikum aber zwischendurch auch mit viel hinreißender Musik in Atem gehalten wird.
Die exzellenten Darsteller tragen das ihre zum Filmgenuss bei. Der junge Jules Benchetrit ist nicht nur als Pianist auf der Leinwand, sondern auch als Schauspieler vor der Kamera ein Naturtalent: Wie er diesen Mathieu durch seinen Weg der Hoffnungen und der Ängste, der Kreativität und der Aggressionen schreiten lässt, das hat exzellente Qualität. Lambert Wilson als Professor ist ein melancholischer Mann mit viel Eigensinn und Kunstverstand. Die wunderbare Kristin Scott Thomas spannt einen Bogen von gestrenger Zickigkeit bis hin zu großer Leidenschaft für die Kunst und deren Jünger.
So ist der Film eine attraktive Mischung aus Sozial- und Künstlerdrama geworden, die dem Publikum mit (typisch französischer) lässiger Eleganz serviert wird. Sehenswert.
IDEAL FÜR: Freunde der Musik und des französischen Films.