GESAMTEINDRUCK: „Der Distelfink“ ist eine luxuriös besetzte, aber inhaltsleere Bestseller-Verfilmung, die als großes Jugenddrama beginnt und als trivialer Krimi endet.
DIE STORY: Der 13-jährige Theo Decker verliert bei einem Terrorattentat im New Yorker Metropolitan Museum seine Mutter. Der traumatisierte Junge kommt bei einer kultivierten und steinreichen Familie unter, wo er sich langsam zu erholen beginnt. Doch dann meldet sich sein ewig absenter Vater, ein Spieler und gescheiterter Schauspieler, zurück. Er übersiedelt mit dem Teenager nach Las Vegas. Was niemand weiß: Theo hat am Tag des Attentats ein wertvolles Gemälde, „Der Distelfink“ von Carel Fabritius, aus dem Museum mitgehen lassen, das er wie einen Schatz hütet. Das Gemälde wird im Zentrum von Ereignissen stehen, die Theos Zukunft prägen.
DIE STARS: Im ersten Drittel von „Der Goldfink“ ist Nicole Kidman in einer Nebenrolle die beherrschende Darstellerin des Films. Als wohlhabende und gefühlvolle Samantha Barbour, die mit ihrer Familie den Halbwaisen Theo aufnimmt, spielt sie eine der konservativsten Frauenfiguren ihrer Karriere.
Der Protagonist Theo Decker bekommt gleich zwei Darsteller. Als Teenager wird er von Oakes Fegley („Pete’s Dragon“) gespielt, als junger Mann von Ansel Elgort („Das Schicksal ist ein mieser Verräter“).
In weiteren wichtigen Rollen sind Luke Wilson (als Theos flatterhafter Vater Larry), Sarah Paulson (als Larrys nicht minder flatterhafte Gefährtin Xandra) und Jeffrey Wright (als Restaurator und Kunsthändler, der das Vertrauen von Theo gewinnt) zu sehen.
Der irische Regisseur John Crowley wurde 2015 mit der Romanze „Brooklyn“ in der Filmwelt bekannt.
DIE KRITIK: „Der Distelfink“ ist einer jener seltenen Filme, über die man in einem Atemzug sagen kann, dass sie gut und zugleich schlecht sind.
Gut ist alles, was man sieht: Edle Sets, elegante Kostüme und hervorragende Schauspieler, die mit großem Elan bei der Sache sind. Man könnte sagen, das Drama schaut aus wie ein potenzieller Oscar-Favorit – und als solcher war die Produktion wohl auch gedacht.
Schließlich basiert „Der Distelfink“ auf dem gleichnamigen und vielgerühmten Roman, für den die Autorin Donna Tartt 2014 mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde. Kritiker schrieben von „wahrhaft großer Literatur“, von einem „Meisterwerk“ oder von einem „herrlichen dickenshaften Roman“.
Die Erwartungen loderten also hoch, als „The Goldfinch“ (so der Originaltitel) am 13. September beim Festival Toronto seine Weltpremiere hatte. Doch zweieinhalb Stunden später war dem enttäuschten Publikum klar, dass es mit dem Oscar wohl nichts werden würde. Die Verfilmung des Romans sammelte einen Verriss nach dem ein anderen und wurde im Kino zum Totalflop, der den Produzenten wohl Verluste in der Größenordnung von geschätzten 40 Millionen Dollar eintragen wird.
Dieses Fiasko liegt an dem, was an „Der Distelfink“ schlecht ist: Die Geschichte, so wie sie im Kino erzählt wird. Wenn man, wie der Rezensent, den Roman nicht kennt, kann man sich nur wundern über die hymnischen Kritiken für das Buch. Offenkundig ist es den Filmemachern nicht gelungen, die Qualitäten des Textes auf die Leinwand zu übertragen. Denn im Kino bekommt man ein langatmiges Melodram vorgesetzt, das geheimnisvoll beginnt, doch mit zunehmender Dauer immer banaler wird.
In der ersten halben Stunde ist „Der Distelfink“ durchaus bewegend. Da geht’s um den plötzlich mutterlosen Theo, der von Oakes Fegley sensibel porträtiert wird. Mit der sehr ernsthaft agierenden Nicole Kidman hat er eine wunderbare Spielpartnerin.
Das Unheil zeigt sein Gesicht (für Theo, aber auch für das Publikum), wenn Luke Wilson als irrlichternder Daddy des Jungen auftaucht. Die Übersiedlung nach Las Vegas tut Theo nicht gut, der vom gehobenen Bildungsbürgertum in die Halbwelt transferiert wird. Und sie tut dem Film nicht gut, dessen roter Faden mit der Zeit unsichtbar wird.
Regisseur John Crowley hat ein Potpourri von Szenen aneinander gereiht, in denen es mal um eine zarte Liebe, mal um die Kunst und mal um eine gefährliche Männerfreundschaft geht. Der Sinn und Zweck all dieser Schnipsel mag sich aber sich erst erschließen, wenn das Drama nach gezählten 105 Minuten eine erkennbare neue Wendung nimmt.
Doch da beschäftigt man sich als Zuschauer längst mit Fragen wie „was erzählen die mir da?“ oder „was mache ich hier?“ Das kann der Film freilich nicht beantworten, der im Finale unvermittelt brutal und blutig wird.
In Summe wirkt das überlange Werk nicht wie verfilmte Literatur, sondern so, als wäre eine anspruchsvolle Geschichte fürs gehobene Popcorn-Kino geshreddert worden. Die Erkenntnisse, die der Film vermittelt, kommen über Sinnsprüche wie „Was geschehen ist, kann nicht ungeschehen gemacht werden“ nicht hinaus. Na sowas aber auch!
IDEAL FÜR: LeserInnen von „Der Distelfink", die es interessiert, was im Kino aus dem Roman geworden ist.