GESAMTEINDRUCK: „Der Boden unter den Füßen“ ist ein fesselndes Drama aus Österreich über eine erfolgreiche Frau, deren Lebensplan durch die Probleme ihrer labilen Schwester ins Wanken gerät.
DIE STORY: Die Wiener Unternehmensberaterin Lola (Valerie Pachner) ist eine Karrieristin, wie sie im Buche steht. Beruflich wie privat ist sie komplett auf Erfolg fixiert; Schwächen sind nicht gestattet. Doch dann verschiebt ein Anruf aus einem Krankenhaus alle Prioritäten. Die psychisch kranke Conny (Pia Hierzegger), Lolas ältere Schwester, wurde nach einer Überdosis Tabletten in letzter Sekunde vor dem Tod gerettet. Lola steht Conny zur Seite – und muss ihren eigenen Weg neu definieren.
DIE STARS: Die Oberösterreicherin Valerie Pachner, Ensemblemitglied am Residenztheater München, machte 2016 in Dieter Berners Film „Egon Schiele: Tod und Mädchen“ als Schieles Geliebte Wally Neuzil Furore. US-Kultregisseur Terrence Malick besetzte Pachner in seinem längst abgedrehten, aber noch nicht veröffentlichten Film „Radegund“ als Franziska Jägerstätter, die Frau des österreichischen Kriegsdienst-Verweigerers Franz Jägerstätter, der von den Nazis hingerichtet wurde.
Die steirische Schauspielerin, Autorin und Regisseurin Pia Hierzegger war zuletzt in Josef Haders „Wilde Maus“ und in Eva Spreitzhofers Multi-Kulti-Komödie „Womit haben wir das verdient?“ zu sehen. Mavie Hörbiger teilt ihre Arbeitszeit zwischen dem Film und dem Wiener Burgtheater, dessen Ensemble sie angehört.
Die aus Graz stammende Autorin und Regisseurin Marie Kreutzer wurde 2011 gleich mit ihrem ersten Spielfilm „Die Vaterlosen“ zur Berlinale eingeladen, wo jetzt auch „Der Boden unter den Füßen“ seine Weltpremiere erlebte. Dazwischen drehte sie fürs Kino die Romanverfilmung „Gruber geht“ (2015) und die Bobo-Komödie „Was hat uns bloß so ruiniert“ (2016).
DIE KRITIK: Dass Regisseurin Marie Kreutzer ihren neuen Film in der Welt der Unternehmensberater ablaufen lässt, ist eine fast schon boshafte Wahl. Gibt es in der Wirtschaft doch kaum eine verhasstere Branche als jene der smarten Konsulenten, die mit einem Federstrich ganze Belegschaften in die Arbeitslosigkeit schicken.
Lola gehört zu dieser Gilde. Äußerlich bildschön, fuhrwerkt sie wie ein eiskalter Engel durch die Unternehmensstrukturen ihrer Auftraggeber. Empathie für entlassene Werktätige kennt sie nicht – außer, ihre eigene Karriere gerät in Gefahr. Dann zeigt sie Mitleid. Und zwar mit sich selbst. Zunächst scheint freilich alles in Ordnung. Die Arbeit ist hart, die Bezahlung hoch und in der kargen Freizeit schmiegt sich Lola an ihre Chefin und Geliebte Elise (Mavie Hörbiger), die sich freilich als noch eiskalterer Engel entpuppt als Lola selbst.
Aus dieser Welt, in der sich alles um Macht und Kontrolle dreht, wird Lola durch den Selbstmordversuch von Conny herauskatapultiert. Ihren Hochglanz-Kollegen mag sie nichts von der labilen Schwester erzählen. Also jettet sie heimlich zwischen ihrem Dienstort Rostock und Wien hin und her, um Conny beizustehen.
Ist sie zurück am Arbeitsplatz, wird sie mit ständigen Anrufen der Kranken bombardiert.
Das Psychodrama scheint sich für einen Moment zum Mystery-Drama zu entwickeln, als Lola erkennt, dass diese Telefonate nur in ihrer Einbildung existieren. Doch Autorin/Regisseurin Marie Kreutzer hat keine übersinnlichen Erklärungen parat. Die Phantomanrufe sind ein weiteres Indiz dafür, dass es der Protagonistin ganz und gar den Boden unter den Füßen weggezogen hat.
Der Film erzählt eindringlich über den schmalen Grat zwischen glitzernden Fassaden und dunklen menschlichen Abgründen; zwischen Macht und Ohnmacht, Kontrolle und Kontrollverlust. Zudem demaskiert er die Gilde der Unternehmensberater als eitle Selbstdarsteller, die nicht nur durch Entlassungspläne am Unglück anderer Leute arbeiten, sondern durch 100-Stunden-Arbeitswochen und unstillbare Gier auch am eigenen Unwohlsein.
So ist „Der Boden unter den Füßen“ ein eminent wuchtiges und intensives Kino-Drama geworden, das obendrein vom famosen Spiel seiner drei Protagonistinnen profitiert. Valerie Pachner gibt Lola zahllose Facetten von schneidender Kälte über Angst und Unsicherheit bis zu völliger Verzweiflung. Pia Hierzegger porträtiert Conny als gepeinigte Frau, die für ihre Seelenqual viel Mitgefühl verdient, allerdings in ihrer Paranoia und ihrem Verfolgungswahn auch massiv nerven kann. Und Mavie Hörbiger als Elise ist der Prototyp einer Karrieristin, die selbst in Momenten der Zärtlichkeit noch berechnend wirkt.
IDEAL FÜR: FilmfreundInnen, die starken Dramen aus Österreich etwas abgewinnen können.