Bevor der Winter kommt
Erotik, Esprit und Mystery
DIE STORY: „Bevor der Winter kommt“ ist eine französische Melange aus Thriller, Romanze und Ehedrama. Der Chirurg Paul Natkinson (Daniel Auteuil) wird eines Tages in einem Lokal von der schönen Kellnerin Lou (Leila Bekhti) angesprochen, die sich dafür bedankt, dass er sie einst am Blinddarm operierte. Nun kann sich der Arzt zwar an nichts dergleichen erinnern. Außerdem ist er als Neurochirurg für Blinddärme definitiv nicht zuständig. Aber welcher Mann in den besten Jahren würde es nicht genießen, von einer jungen Frau Komplimente zu bekommen?
Es bleibt nicht bei der einen Begegnung zwischen Paul und Lou. Sein Interesse blüht ganz langsam auf – seine Beziehung zu Lucie (Kristin Scott Thomas), mit der er seit ewigen Zeiten verheiratet ist, trocknet aus.
Dann landen auf einmal große Rosensträuße auf seinem Tisch, die anonym, aber regelmäßig geliefert werden. Stammen sie von Lou? Der Arzt wird ärgerlich. Die junge Dame schirmt sich ab in einem Kokon aus Geheimnissen. Paul will ihr rätselhaftes Verhalten ergründen. Doch das ist kein ungefährliches Vorhaben, wie sich irgendwann herausstellt.
DIE STARS: Der 64-jährige Daniel Auteuil gehört seit Jahrzehnten zu den führenden Darstellern des französischen Kinos. Seit Spektrum reicht von André Téchinés „Meine liebste Jahreszeit“ bis zu Michael Hanekes „Caché“. Kristin Scott Thomas pendelt beruflich wie privat zwischen Frankreich und England. Zu ihren wichtigsten Filmen zählen „Der englische Patient“ und „Der Pferdeflüsterer“. Leila Bekhti, die Darstellerin der mysteriösen Lou, gewann 2011 in Paris den César-Filmpreis als beste Nachwuchs-Schauspielerin.
Autor/Regisseur Philippe Claudel drehte mit Kristin Scott Thomas schon das Drama „So viele Jahre liebe ich Dich“. Claudel ist ein bekannter Schriftsteller, dessen Romane wie „Die grauen Seelen“ oder „Die Untersuchung“ auch auf Deutsch veröffentlicht wurden.
DIE KRITIK: Was macht man, „Bevor der Winter kommt“? Noch einmal die Sonne genießen. Noch einmal richtig leben, nach draußen gehen, die Farben bestaunen, bis dann der Winter für ein paar Monate die Welt einfriert.
Philippe Claudel wählte einen beziehungsreichen Titel für seinen Film, der den Zuschauer von Beginn an atmosphärisch gefangen nimmt. Hier ist es Paul, der alternde Arzt, der durch die Begegnung mit Lou den Herbst (des Lebens?) erfrischend und prall einatmet. Als stünde nicht der Winter vor der Tür, sondern ein zweiter Frühling. Allerdings merkt er bald, dass ihm bei Lou, seiner angeblichen Ex-Patientin, keine Affäre der unbeschwerten Art winkt.
Je besser der Doktor seine junge Bekannte kennenlernt, umso weniger weiß er von ihr. Es ist ein Spiel von Nähe und Distanz, das sie mit ihm zu spielen scheint. Die Ungewissheit zieht ihm den Boden unter den Füßen weg – in einer Zeit, in der zugleich das Fundament seiner Ehe zerbröselt.
So mutiert „Bevor der Winter kommt“ von der leicht mysteriösen Romanze zu einem Dreiecks-Drama, in dem auch die Beziehung von Paul zu seiner Frau Lucie wieder mehr Gewicht bekommt. Die großen Szenen zwischen Daniel Auteuil und Kristin Scott Thomas zählen zu den Höhepunkten des Films. Weil sich hier zwei Schauspieler der Extraklasse mit klugen Dialogen über ihre Liebe, ihre Fehler und, nicht zuletzt, über ihre versäumten Chancen austauschen.
Autor/Regisseur Claudel wechselt geschickt die Stimmung zwischen Sinn und Sinnlichkeit, zwischen seelenvoller Konversation und gezielten Injektionen krimineller Energie. Der Film, der sich zu Beginn nicht entscheiden kann, ob er nun Romanze, Thriller oder Drama sein will, hat in Wirklichkeit Elemente all dieser Zutaten. Und sorgt so für ein prickelndes, unterhaltsames, ernsthaftes und obendrein noch spannendes Kino-Erlebnis.
IDEAL FÜR: die Freunde typisch französischer Filme voller Esprit und Mystery.