DIE STORY: Eine Doku voll Thriller-Spannung. „A Good American“ handelt von dem ehemaligen Geheimagenten und heutigen Whistleblower Bill Binney, der in seiner Zeit als Technischer Direktor der NSA eine Überwachungs-Software namens ThinThread entwickelte. Mit diesem Programm hätte man, so argumentiert Binney, vermutlich die Attentate von 9/11 verhindern können. Weil die Datensätze über die Attentäter vorhanden waren und weil sie mit ThinThread hätten ausgefiltert werden können.
Doch drei Wochen vor den Attentaten entschied NSA-Chef Michael Hayden, erfährt man im Film, ThinThread nicht zu implementieren. Niemand unterstellt ihm in der Doku, dass er damit dem Terrorismus das Tor öffnen wollte. Es sei um handfeste ökonomische Interessen gegangen. ThinThread wäre relativ kostengünstig gewesen. Doch große Konzerne witterten mit ihren eigenen Entwicklungen auf dem Gebiet der Überwaschungs-Technologie ein Milliardengeschäft.
DIE STARS: Der Amerikaner William „Bill“ Binney führte viele Jahre eine von der Öffentlichkeit unbemerkte Existenz. Während des Kalten Krieges war es seine erste große Aufgabe bei der NSA, das Kommandosystem der Sowjetunion zu knacken. Der Codebreaker und Mathematiker setzte schon damals auf die Verwendung von Metadaten. In den Neunziger Jahren entstand dann unter seiner Leitung das ThinThread-Programm. Diese Software hätte, so ihr Erfinder, ganz gezielt nach den Urhebern terroristischer Aktivitäten suchen können, ohne durch Massenüberwachung die Bürgerrechte zu verletzen.
Der Wiener Dokumentarfilmer Friedrich Moser stieß bei der Arbeit an einem Filmprojekt über einen deutschen Computerhacker auf den Namen Bill Binney – und nahm Kontakt mit ihm auf. Der Ex-Agent, der die NSA zu Jahresende 2001 aus Protest gegen die immer stärker werdende Datensammel-Praxis der USA verlassen hatte, war bereit, vor der Kamera zu reden.
DIE KRITIK: Es geht los mit dem Mitschnitt eines Telefonats. Eine Frau meldet sich mit mühsam gefasster Stimme bei ihrer Familie und teilt mit, dass sie in einem entführten Flugzeug sitze. Da ahnt man schon, dass es um die Attacken auf das World Trade Center gehen müsse. Gleich darauf eine Stimme: „9/11. Im Grunde erlaubten wir, dass es passierte, Ein (Computer-)Programm hätte 9/11 verhindern können.“
Viel dramatischer als mit diesem Einstieg kann eine Dokumentation kaum beginnen. Regisseur Friedrich Moser kommt in „A Good American“ sofort zum Kern seines Themas, 9/11, um dann das Publikum auf eine große filmische Reise mitzunehmen: Mal geht’s um Jahrzehnte zurück, bis in die 1960er Jahre. Mal geht es um Politik und Spionage, um den Kalten Krieg und echte Kriege, mal um Überwachung, um Metadaten, Mathematik und Computer-Technologie.
Im Zentrum des Geschehens steht stets der Titelheld des Films: Bill Binney, der Mann, den Regisseur Moser „einen guten Amerikaner“ nennt. Weil Binney, der ranghohe Geheimdienstler, sich „dem Druck der militärisch-industriellen Überwachungs-Maschinerie nicht beugte.“
In ruhigen, klaren Worten erzählt Binney seine Geschichte. Wenn er von historischen Abläufen spricht, von Vietnam, dem Kalten Krieg oder den ersten Terror-Attacken auf Einrichtungen der USA, ist es faszinierend und auch einfach, seinen Gedankengängen zu folgen. Sobald es um Metadaten geht und um Software-Technologie, ist es mit dem einfachen Verständnis vorbei (außer, man ist Mathematiker). Dann kann man seine seine Aussagen nur noch erfühlen, aber nicht mehr wirklich begreifen.
Im Kern geht’s in Binneys Geschichte um diese Themen: Wie 1993 erstmals der Name des Al-Qaida-Anführers Osama Bin Laden rot aufleuchtete. Wie die NSA feststellte, dass sie auf die Konflikte im digitalen Zeitalter schlecht vorbereitet war. Wie er, Binney dann mit einer kleinen Gruppe von Spezialisten begann, die Software ThinThread zu entwickeln – „das leistungsstärkste Analyse-Werkzeug in der Geschichte.“ Wie ThinThread jedoch unter dem Einfluss von Konzern-Lobbyisten abgelehnt wurde. Und wie zynisch die NSA-Spitze 2001 auf die Attentate in New York und Washington reagierte: „9/11 ist ein Geschenk“, wird die damalige NSA-Spitzenfunktionärin Maureen Baginski zitiert. „Jetzt bekommen wir alles Geld, das wir brauchen – und noch mehr“.
„A Good American“ ist ein eindrucksvoller Film, der einen mit beunruhigenden Thesen zurücklässt, was das Thema Überwachung betrifft und die Bereitschaft der Geheimdienste, die Bürger zu belauschen, anstatt sie zu beschützen.
Regisseur Friedrich Moser hat eine superbe Form gefunden, all diese Informationen visuell aufzubereiten. Schließlich ist es das Wesen der Geheimdienste, dass sie im Geheimen agieren. Es gibt also wenig bewegte Bilder über ihre Aktivitäten. Doch Moser fand Bilder genug, um sie zu einer bewegenden Collage zusammenzusetzen. So ist „A Good American“ nicht nur thematisch, sondern auch filmisch ein Erlebnis.
IDEAL FÜR: alle, die Anteil am Zeitgeschehen nehmen – und einen Einblick bekommen wollen, was hinter dem Rücken der Öffentlichkeit so alles abläuft.