DIE STORY: Der Filmessay „Heart of a Dog“ erzählt vom Abschiednehmen. Die New Yorker Künstlerin Laurie Anderson musste vor ein paar Jahren drei Schicksalsschläge nacheinander einstecken. Erst starb ihre Mutter, dann ihr Hund – und schließlich ihr Ehemann. Lou Reed.
Laurie Anderson berichtet von diesen drei geliebten Wesen sehr persönlich und schweift dabei immer wieder ab – zum Beispiel zur allgegenwärtigen Überwachung in den USA nach 9/11.
DIE STARS: Laurie Anderson (in den 1980er Jahren mit dem Hit „O Superman“ weltberühmt geworden) ist in diesem Film als Erzählerin zu hören. Und sie macht ihre Sache extrem eindrucksvoll. Die komplette Tonspur des Films ist übrigens auch als Soundtrack auf CD erschienen – funktioniert auch als reines Audio-Erlebnis sehr gut. Ihr verstorbener Ehemann Lou Reed taucht erst am Ende des Films mit einem Lied auf.
DIE KRITIK: Wie erzählt man vom Sterben? Die meisten Filmemacher legen diesen Schritt in eine andere Welt oder möglicherweise ins Nichts als melodramatische Überhöhung an. Viel Musik, ein wenig Schweigen, Schrecken natürlich. Dem Zuschauer soll wahlweise ein wohliger Schauer über den Rücken fahren oder der Schreck in die Glieder.
Laurie Anderson – geniale Musikerin, Künstlerin, Filmemacherin – hält davon herzlich wenig. Bombast, Inszenierung, falsche Gefühle, all das ist ihr fremd. Ihr Film über den Tod beginnt mit einer Geburt. Eine Stimme aus dem Off (Anderson selbst mit sagenhaft viel wohltuendem Schmelz) verkündet, dass ein neues Wesen auf der Welt angekommen sei.
Eine Frau liegt im Krankenhaus und bringt einen Hund zur Welt.
Willkommen in der schrägen Welt der Laurie Anderson. Sie lässt uns Zuschauer umgehend wissen, dass all das natürlich ein Wunschtraum war, eine Fantasie. Oder hat sie wirklich probiert, im Sinne der Kunst, eine Geburt zu inszenieren und ihre Hündin Lolabelle dem Stress einer Fake-Geburt ausgesetzt? Man wird es nicht erfahren und es spielt auch überhaupt keine Rolle. Alles, was hier zählt, das sind die Gedanken der Laurie Anderson über Leben und Tod.
Wer konventionell gestrickte Film bevorzugt, mit Handlung und Anfang und Ende, der wird mit dem 75-Minuten-Werk „Heart of a Dog“ nicht glücklich. Die Filmemacherin, das merkt man in jeder Einstellung, kommt aus der bildenden Kunst. Sie legt ihren Film, der den Namen Essay verdient (aber zum Glück keiner dieser verkopften Essays ist, bei denen nur der Macher weiß, was er erzählen wollte), wie einen laufenden Strom der Gedanken an. Eine Handlung braucht sie nicht. Und auch der Film kommt überraschenderweise sehr gut ohne aus.
Die Filmemacherin hat ein großes Talent, das sie hier wunderbar einsetzt. Sie ist eine fantastische Erklärerin. Ob sie nun auf das tibetische Totenbuch zu sprechen kommt oder die Thesen Kierkegaards vorstellt, der den wunderbaren Satz geprägt hat „Leben lässt sich rückwärts verstehen, muss aber vorwärts gelebt werden“.
Zwischendurch geht es um die Paranoia der Amerikaner, die nach dem 11. September 2001 jedes Maß in Sachen Überwachung verloren hätten. Ihre damit verbundenen Ängste – und immer wieder die Liebe. All das ohne Pathos vorgetragen und inszeniert. Ein großer Film. Der nur eines nicht schafft. Einem die Angst vor dem Sterben zu nehmen. Aber das ist vielleicht auch ein bisschen viel verlangt.
IDEAL FÜR: Arthaus-Kinogänger, die gern mal etwas Neues ausprobieren wollen. Und für alle, die offen sind, wenn es um die Frage des Sterbens geht.