DIE STORY: Die Musik-Doku „20 Feet from Stardoom“ blickt auf Künstler, die ein paar Meter entfernt vom großen Ruhm leben: Es geht um Background-SängerInnen, die dem Sound der Superstars aus Rock und Pop erst die richtige Würze verleihen. Der Film gewann im Februar den Oscar für die beste Dokumentation.
Preise aller Art hätten auch die (vornehmlich weiblichen) Vokalisten mit ihren oft sensationellen Stimmen verdient. Der großartige Film lässt etliche Megastars zu Wort kommen, von Bruce Springsteen über Mick Jagger bis Sting. Die Doku erklärt, warum manche Talente den letzten Sprung vom Background- zum Lead-Gesang nicht schaffen („für einen Nummer-eins-Hit brauchst Du den Killerinstinkt“). Obendrein lernt man, dass der Star-Glanz nur ein Nebenaspekt vieler Karrieren ist. „Manche würden alles tun, um berühmt zu werden. Andere singen einfach. Das ist die wahre Berufung“, sagt die ganz und gar hinreißende Background-Meisterin Lisa Fischer.
DIE STARS: Die Auftritte von Springsteen, Jagger und Sting in „20 Feet From Stardom“ haben wir schon erwähnt. Regisseur Morgan Neville hat auch Stevie Wonder, Sheryl Crow oder Bette Midler vor die Kamera geholt. Doch sie alle spielen nur Nebenrollen in diesem hinreißenden Film. Das Rampenlicht gehört Darlene Love und Merry Clayton, Judith Hill, Tata Vega, Lisa Fischer und vielen wunderbaren SängerInnen mehr.
DIE KRITIK: Es sei „ein gedanklicher Schritt und eine undankbare Situation“, eine Gesangskarriere knapp neben dem Rampenlicht zu wählen, sagt Bruce Springsteen in den ersten Sekunden von „20 Feet From Stardom“. Eine in jeder Hinsicht farbige Background-Sängerin bringt das Dilemma auf den Punkt: „Niemand gibt uns die Anerkennung, die wir verdienen. Aber alle sehen uns gern.“
Falsch. Wir hören sie auch gerne, die Damen im Hintergrund. Was wären etwa „Sweet Home Alabama“ von Lynyrd Skynyrd, Joe Cockers „Feelin’ Allright“ oder „Gimme Shelter“ von den Rolling Stones ohne die wilden und virtuosen weiblichen Stimmen, durch die das Klangbild dieser Rock-Evergreens erst komplett wurde?
Zufällig war es in allen drei Fällen die gleiche Sängerin, Merry Clayton, die ins Studio gebeten wurde. In einer der spannendsten Sequenzen des Films erzählt sie von ihrer Begegnung mit den Stones: Wie sie 1969, hochschwanger, im Schlafanzug und mit Lockenwicklern, zu mitternächtlicher Stunde angerufen wurde, um die „Rolling irgendwas“ zu unterstützen. Wie sie dann an der Seite von Mick Jagger die „Gimme Shelter“-Zeilen „Rape, murder. It's just a shot away“ ins Mikro wuchtete. Und wie sie schließlich beschloss, die Jungs einfach mal so an die Wand zu singen. Was ihr auch mühelos gelang - die Plattenaufnahme legt Zeugnis davon ab.
Der höchst unterhaltsame Film berichtet mit viel Musik über die Geschichte des Background-Gesangs in Rock, Pop und Soul. Er weist mit vielen Beispielen auf die oft üblen Gesetze des Musik-Biz hin (die SängerInnen, die man sieht, müssen nicht unbedingt jene sein, die man hört). Und er lässt seine Protagonistinnen auch auf die Gefahren des Ruhms hinweisen: »Wenn ich ganz groß rausgekommen wäre und Millionen verdient hätte, dann würde ich vermutlich gar nicht hier sitzen«, sagt die hinreißende Sängerin Tata Vega. »Dann wäre ich womöglich an einer Überdosis gestorben.«
Eine persönliche Anmerkung: Ich habe bei »20 Feet From Stardom« eine Entdeckung gemacht; Lisa Fischer, ein Stimmwunder, deren betörender Klang vom Ohr direkt in die Seele zieht. Bei einem kurzen Ausflug zum Sologesang, dem keine große Karriere folgte, gewann Miss Fischer 1991 sogar einen Grammy. Dass mir ihr Name bisher kein Begriff war, ist kein Ruhmesblatt: Lisa Fischer ist seit 1990 auf fast allen Welttourneen der Rolling Stones im Einsatz. Woraus folgt, und auch das ist eine wichtige Botschaft dieses großen Films: Für die meisten Fans mögen Backgroundsängerinnen wirklich eine anonyme Existenz führen. Die Megastars wissen aber sehr genau, wer die großen Talente sind, die ihrer Kunst noch mehr Glanz verleihen.
IDEAL FÜR: alle Musikfreunde. Alle. „20 Feet From Stardom“ wird jeden begeistern, der den Film sieht. Garantiert.