Eröffnung. Die 57. Ausgabe der Viennale beginnt mit einem Film, der im Mai beim Festival Cannes den Drehbuchpreis gewann: „Porträt einer jungen Frau in Flammen“ (Originaltitel: „Portrait de la jeune fille en feu“) von Céline Sciamma. Die französische Romanze, die im Jahr 1770 spielt, erzählt die Geschichte einer Malerin, die eine Frau proträtieren soll, welche kurz vor ihrer Hochzeit steht. Bei der Arbeit verlieben sich die beiden Frauen ineinander. Céline Sciamma („Tomboy“), die für ihre raue, ungeschminkte Art des Filmemachens bekannt ist, hat diese Liebesgeschichte mit dem ganz feinen Pinsel gemalt. Manchmal reichen einige Blicke; der Film kommt ohne große Dialoge aus. Und fast ohne Männer: Die kommen nur vor, wenn mal Gepäck geschleppt werden muss. Ansonsten gibt es sie einfach nicht in diesem stillen Historiendrama, in dem viel von Verlangen und Etikette die Rede ist (Kinostart: 13. Dezember). Hauptdarstellerin Adèle Haenel kommt zur Viennale-Eröffnungsgala am 24. Oktober in Wien erwartet.
Finale. Der Abschlussfilm der Viennale 2019 wurde im September in Venedig mit einer Auszeichnung bedacht. Das Festival endet am 6. November mit „Martin Eden“, einer italienischen Neuverfilmung (Regie: Pietro Marcello) des berühmten, autobiografisch geprägten Romans von Jack London. Hauptdarsteller Luca Marinelli wurde zum besten Schauspieler des Wettbewerbs um den Goldenen Löwen gewählt, was bei Beobachtern großes Staunen auslöste: „Der Darstellerpreis für Luca Marinelli ist eine fast groteske Entscheidung. Denn der mit großem Abstand beste Schauspieler des Wettbewerbs war – und da könnte nicht einmal die Jury widersprechen, die seinem Film ,Joker‘ den Goldenen Löwen gab – Joaquin Phoenix“, notierten wir in
FilmClicks. „Martin Eden“ stieß in Venedig auf geteilte Reaktionen: „Während sich das italienische Publikum begeistert zeigte, ließ der spröde Film viele andere Besucher ratlos zurück.“
Hauptprogramm. Wie schon im letzten Jahr hat Festival-Chefin Eva Sangiorgi die traditionelle Trennung zwischen Spielfilmen und Dokumentationen in der Darstellung des Hauptprogramms aufgehoben. Hier – in alphabetischer Reihenfolge – ein Blick auf zehn besonders vielversprechende Produktionen des Viennale-Jahrgangs 2019.
„A Hidden Life“ von Terrence Malick. US-Regielegende Terrence Malick hat mit „A Hidden Life“ ein Meisterwerk geschaffen. Er erzählt die Geschichte des oberösterreichischen Bauern Franz Jägerstätter, der 1943 von den Nazis hingerichtet wurde, weil er den Wehrdienst mit der Waffe verweigerte. Wie von Malick gewohnt, wählte er eine essayistische Erzählweise, die mit sparsamen Dialogen auskommt, aber die Darsteller glänzen lässt. Rund um August Diehl und Valerie Pachner als Franz und Franziska Jägerstätter agieren österreichische Stars wie Tobias Moretti, Karl Markovics oder Johannes Krisch auf der Höhe ihrer Kunst (regulärer Kinostart: 31. Jänner 2020).
„A Rainy Day In New York“ von Woody Allen. Eine Love Story zwischen zwei Menschen und eine Liebeserklärung an die Stadt New York: Woody Allen bleibt in seiner neuen Komödie (mit Timothée Chalamet und Elle Fanning) dem wichtigsten Thema seiner vielen Filme treu.
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Amazing Grace“ von Alan Elliott und Sydney Pollack. Der große Regisseur Sydney Pollack ist zwar bereits 2008 verstorben, doch er legte mit Material aus dem Jahr 1972 das Fundament zu diesem neuen und von der Kritik begeistert kommentierten Musikfilm. Die Dokumentation begleitet Aretha Franklin, die Queen Of Soul, bei der Aufnahme ihres Doppelalbums „Amazing Grace“ vor 47 Jahren in Los Angeles.
„Atlantique“ von Mati Diop. Die 36-jährige Pariser Schauspielerin Mati Diop wurde für ihre erste Regie gleich mit dem Großen Preis der Jury in Cannes ausgezeichnet. „Atlantique“ spielt in Senegals Hauptstadt Dakar und ist eine ungewöhnliche Mischung aus realistischem Sozialdrama, Liebestragödie und Voodoo-Mystery. Aus einer rauen Geschichte über ausgebeutete Arbeiter und eine unerfüllte Liebe wird schließlich ein düsteres Zaubermärchen voller innerer und äußerer Dämonen. Faszinierend.
„Bucurau“ von Kleber Mendonca Filho & Juliano Dornelles. „Bucurau“ ist lupenreines Genre-Kino. Der Film erzählt von einem Dorf in Brasilien, das von einem Tag auf den anderen von den Landkarten verschwunden zu sein scheint. Außerdem stapft eine Gruppe von schießwütigen US-Touristen durch die Landschaft, die es anscheinend auf die Bewohner des Dorfes abgesehen haben. Es gibt mit der Leinwand-Legende Udo Kier einen Oberschurken der Extraklasse, der jenseits von Gut und Böse agiert. Und hinter der ganzen Geschichte steckt eine unheilvolle Entwicklung. Nämlich eine Regierung, die für neue Gesetze über Leichen geht.
„Ema“ von Pablo Larrain. Der chilenische Regisseur Pablo Larrain schildert die Geschichte einer jungen Tänzerin namens Ema, die im Küstenort Valparaiso lebt und einen leicht grotesken, aber sehr genau durchdachten Plan verfolgt, um ihr Glück zu finden. Dabei spielen die Männer in ihrer Umgebung, ohne es zu ahnen, eine wichtige Rolle. Der (auch musikalisch) ungewöhnliche Film feierte seine Weltpremiere im August im Wettbewerb von Venedig, blieb dort aber zum Bedauern vieler Beobachter ohne Auszeichnung.
„It Must Be Heaven“ von Elia Suleiman. Nazareth, Paris und New York sind die wichtigsten Schauplätze des neuen Films von Elia Suleiman. Der arabisch-israelische Regisseur, der sich 2002 mit der Tragikomödie „Göttliche Intervention“ einen Namen machte, wirft auch in „It Must Be Heaven“ einen heiteren Blick auf ernste Themen.
„The Lighthouse“ von Robert Eggers. Dieses Gruseldrama ist einer der am meisten erwarteten Filme des Jahres – und gewiss einer der verstörendsten. Willem Dafoe und Robert Pattinson spielen zwei Leuchtturmwärter auf einer Insel. Als nach den vier Wochen ein Sturm aufzieht, müssen die beiden länger als geplant auf der Insel ausharren. Die Nahrung wird knapp. Und langsam schleicht sich der Wahnsinn in ihr Leben. „The Lighthouse“ ist ein Film über das, was noch bleibt, wenn man sich selbst verliert.
„No. 7 Cherry Lane“ von Yonfan. Trickfilm-Spezialist Yonfan, der aus Hongkong stammt, schuf einen phantastischen, aus allen Nähten platzenden Trickfilm-Traum. Beim Festival Venedig mit dem Drehbuch-Preis ausgezeichnet, dürfte das Werk in Peking weniger Anklang finden. Denn Yonfan erzählt davon, wie er vor vielen Jahrzehnten erlebt hat, dass China versuchte, seinen Einfluss in Hongkong zu vergrößern. Und dass genau das gleiche heute wieder geschieht. Dass die Meinungsfreiheit in Hongkong mit Füßen getreten wird.
„Il Traditore“ von Marco Bellocchio. Regie-Altmeister Marco Bellocchio, 79, der sich immer wieder mal realen Ereignissen widmet, hat in „Il Traditore“ („Der Verräter“) die wahre Geschichte des Mafia-Bosses Tommaso Buschetta aufbereitet, der sich 1984 entschied, vor den italienischen Behörden auszupacken. Der Film ist ein Drama mit melodramatischen Zügen, das gelegentlich Thriller-Spannung erzeugt, aber auch sarkastischen Humor ins Geschehen packt (wenn die Urteile gegen die Mafiosi verkündet werden, erklingt dazu der Gefangenenchor aus Verdis „Nabucco“).
Österreich. Wie schon eingangs erwähnt, steht die Österreich-Präsenz auf der Viennale im Zeichen von drei renommierten Regisseurinnen.
Sabine Derflinger, die gern zwischen Spielfilm und Dokumentation wechselt, bringt „Die Dohnal“ zur Uraufführung: Eine Doku über die Feministin und Frauenpolitikerin Johanna Dohnal (1939 – 2010), die als SPÖ-Mandatarin und später als Staatsekretärin so viel für Österreichs Frauen getan hat.
Jessica Hausner lädt zur Österreich-Premiere ihres Science-Fiction-Dramas „Little Joe“, mit dem sie im Mai in den Wettbewerb von Cannes eingeladen wurde (Hauptdarstellerin Emily Beecham gewann bei der Palmen-Gala den Preis für die beste Schauspielerin des Festivals).
Anja Salomonowicz porträtiert in der Dokumentation „Dieser Film ist ein Geschenk“ den Künstler Daniel Spoerry. Der Schweizer, einer der herausragenden Vertreter der Objektkunst, lebt in Wien.
Eine weitere Doku aus Österreich trägt den Titel „Space Dogs“. Der Film von Elsa Kremser und Levin Peter fällt in die Kategorie eines „dokumentarischen Märchens“. Es geht um „stolze Moskowiter Straßenköter und ihre Vorfahrin, die Hündin Laila, die 1857 als erstes Lebewesen an Bord einer Raumkapsel ins All geschossen worden war.“
Monografien. Vier FilmkünstlerInnen werden mit Monografien gewürdigt, wobei Viennale-Chefin Eva Sangiorgi nach Möglichkeit deren Gesamtwerk zeigen will. Die Filmreihe des tunesischen Regisseurs Ala Eddine Slim steht dabei unter dem Titel „Kino an den Rändern“. Dieser Slogan könnte als Motto der gesamten Veranstaltung dienen, denn die vorgestellten (und nach Wien reisenden) Filmemacher werden nur wahren Cineasten ein Begriff sein.
Die Bekannteste des Quartetts ist die deutsche Regisseurin Angela Schanelec, die im Februar mit dem kargen Drama „Ich war zuhause, aber“ den Regiepreis der Berlinale gewann. „Aus diesem sehr anstrengenden Werk flieht man entweder nach wenigen Minuten oder man bleibt fasziniert sitzen“, kommentierte FilmClicks-Autor Peter Beddies. Neben dem Berlinale-Werk wird Schanelec auch Filme mit Titeln wie „Nachmittag“, „Orly“ oder „Marseille“ (mit Devid Striesow) nach Wien mitbringen.
Über den bereits erwähnten Filmemacher Ala Eddine Slim heißt es in einem Viennale-Text: „Slims Kino ist ein atmosphärisches und an Schauplätzen reiches Kino, kraftvoll und üppig, dessen Gesten politische Gegebenheiten wie filmische Erfahrungen gleichermaßen in Erinnerung rufen.“ Der bretonische Regisseur und Landwirt Pierre Creton wird von der Viennale so beworben: „Wenn Ihnen der Name dieses Filmemachers nichts sagt, werden Sie eine schöne Überraschung erleben, sobald Sie seine filmische Welt betreten.“ Über die Portugiesin Sílvia das Fadas, vierte im Bunde der Monografie-Gewürdigten, heißt es schließlich: „Interessiert an Legenden und Volkstümlichem, erkundet sie in dokumentarisch-essayistischen Bewegungen das, was sich davon in der wirklichen Welt als Spuren und Überbleibsel abdrückt.“
Retrospektive. Die alljährliche Viennale-Retrospektive des Österreichischen Filmmuseums, die vom 25. Oktober bis zum 4. Dezember läuft, wird diesmal ausgesprochen politisch. Unter dem Titel „O Partigiano!“ werden rund 40 Filme aus den 1940er bis 1980er Jahren gezeigt: „Europaweit, vom Westen über die neutralen und blockfreien Staaten bis in die Sowjetunion, entstanden Filme, die über den bewaffneten zivilgesellschaftlichen Widerstand gegen den Faschismus erzählten: Als Gründungsmythos der jeweiligen Nachkriegsordnung und als Stütze sich neu formierender nationaler (oder paneuropäischer) Identitäten. Die Bandbreite der Filme aus 20 Ländern reicht vom neorealistischen Drama und bombastischen Militärspektakel bis zum Musical und der Komödie“.
Schauplätze, Tickets, Infos. Die Viennale bespielt wie immer die Wiener Innenstadt. Wichtigster Schauplatz ist das Gartenbau-Kino mit 750 Plätzen. Dazu kommen das Urania-Kino, das Stadtkino im Künstlerhaus und das Metro-Kino mit seinen zwei Spielstätten, dem Historischen Saal und dem Eric-Pleskow-Saal. Im Filmmuseum in der Albertina laufen neben der Viennale-Retrospektive „O Partigiano!“ auch zahlreiche reguläre Festival-Vorstellungen.
Für Diskussionen, Präsentationen und die allabendlichen Partys hat vom 24. Oktober bis 6. November täglich von 20 Uhr bis 4 Uhr früh wieder das Viennale Festivalzentrum in der Kunsthalle Wien im Museumsquartier (Wien 7., Museumsplatz 1) geöffnet. Der Eintritt zu allen Veranstaltungen und Konzerten ist frei.
Der Ticketverkauf beginnt am 19. Oktober. Einzelkarten kosten unverändert 9,50 Euro. Bei Abnahme von mindestens zehn Karten zahlt man 9 Euro pro Ticket, ab 20 Karten sind es dann 8,30 Euro.
Karten im Vorverkauf gibt es vom 19. bis 24. Oktober (10 – 20 Uhr) im Metro Kinokulturhaus, im Viennale-Kiosk am Schottentor (bis 21. 10.) und im Gartenbau-Kino. Natürlich sind die Kassen aller Festival-Kinos bei allen Vorstellungen geöffnet.
Darüber hinaus kann man Tickets auch telefonisch über die Nummer
01 526 594 769 bestellen (Bezahlung mit Kreditkarte). Schließlich gibt es noch die Möglichkeit, Tickets via
www.viennale.at online zu erwerben.