Cannes-Tagebuch

Coen Brothers: Eine Hymne auf die Folkmusik

19.05.2013
von  Gunther Baumann
A Star is born: Oscar Isaac in der Rolle des glücklosen Folk-Sängers Llewyn Davis © Studiocanal
Festival Cannes: Joel & Ethan Coen sorgen für einen ersten großen Höhepunkt im Rennen um die Goldene Palme. Ihr satirisch-melancholisches Folkmusik-Drama „Inside Llewyn Davis“ wurde am Sonntag gefeiert. Die Coens punkten mit einem Film, der einen faszinierenden Blick auf die New Yorker Folk-Szene um 1960 wirft. Im Zentrum steht ein begabter, aber glückloser Singer/Songwriter, der, so Justin Timberlake, der Co-Star des Films, „den Erfolg sucht und auf seltsame Art gleichzeitig scheitern will.“
New York, 1961. Der junge Folksänger Llewyn Davis (grandios: Oscar Isaac) hat gerade einen Auftritt im Gaslight Café in Greenwich Village absolviert, als er draußen vor der Tür von einem Mann abgepasst wird. Der schlägt ihn übel zusammen.

Cannes, 2013. „Mein Bruder Joel kam vor langer Zeit zu mir und sagte, lass uns doch einen Film machen, der damit beginnt, dass ein Folkmusiker Prügel bezieht“, sagte AutorRegisseur Ethan Coen am Sonntag im Pressegespräch.  „Wir haben dann einige Jahre gebraucht, um eine Story zu finden, die zu dieser Szene passt.“

Warum der arme Llewyn ein blaues Auge bekommt, ist nicht so wichtig. Doch der Faustangriff setzt den Grundton für den ganzen Film: Tiefschläge sind das tägliche Brot für den Mann mit der Gitarre, der ansonsten nicht viel zu beißen hat. Als wahrer und kompromissloser Bohemien lebt er nur für die Kunst, die ihm das freilich nicht honoriert. Der bettelarme Musikant muss praktisch jede Nacht eine neue Bleibe suchen, wo er auf dem Sofa schlafen kann. Die Karriere-Aussichten sind mies. Obendrein vergrätzt er mit sexueller Flatterhaftigkeit (sprich Untreue) und rustikaler Motzerei all jene, die ihm wohlgesonnen sein könnten.

Das klingt nach einer ziemlich tristen Story und ist doch ein Film voller Charme, dunklem Witz und Feingefühl. Eine typische Coen-Produktion halt. Die Filmemacher-Brüder, die für „Fargo“ und „No Country For Old Men“ schon vier Oscars gewannen, lassen sich mit klarem Blick, distanzierter Herzenswärme und einem Strauß voller Überraschungen auf jene Musik-Ära ein, an deren Ende der Aufstieg von Bob Dylan stand.

Überraschungen? Da ist zum Beispiel die Sache mit der Katze, die sich als Running Gag durch den Film zieht. „Man hat uns vorgeworfen, unsere Story hätte keinen richtigen Plot,“ grinste Joel Coen im Cannes-Gespräch. „Also haben wir die Katze dazugenommen."

In der New Yorker U-Bahn: Llewyn Davis (Oscar Isaac) mit Katze © Studiocanal


Das geht so: Als wäre Llewyn nicht genug vom Leben gebeutelt, muss er sich auch noch mit einer entzückenden Katze abplagen, die ihm weder gehört noch auf ihn hört – eine Sekunde genügt, und das Vieh ist weg. Joel Coen: „Wir hatten sechs Katzen. Gar nicht leicht, mit ihnen zu arbeiten. Hunde wollen nett zu dir sein – eine Katze hat nur den eigenen Spaß im Sinn.“

Oder da wäre die Sache mit Justin Timberlake. Der ist als männlicher Part des Folk-Duos Jim and Jean (den weiblichen Part spielt Carey Mulligan) derart perfekt in Pullover und Vollbart verpackt, dass man ihn höchstens an seiner Stimme erkennt. Wenn er dann mit unübertrefflicher Bravheit und Temperamentlosigkeit den Folk-Hadern „500 Miles“ anstimmt, ist das zugleich eine Satire und eine Liebeserklärung an die Wanderklampfen-Ära.

Genial als Duo Jim and Jean: Justin Timberlake & Carey Mulligan © Studiocanal


Trotz  Timberlake, trotz Carey Mulligan und trotz John Goodman, der sich durch eine schräge Episodenrolle wuchtet: Der Film gehört Titeldarsteller Oscar Isaac. „Wir brauchten einen Schauspieler, der fast in jeder Einstellung im Bild und außerdem als Musiker glaubwürdig ist“, sagt Ethan Coen. „Wir waren total im Eck, bis wir Oscar fanden.“

Der 33-Jährige, der hier seine erste ganz große Rolle spielt,  legt den Folk-Barden Llewyn Davis als Mann mit extrem rauer Schale und extrem weichem Kern an. Man erlebt einen rastlosen Künstler, der jede Niederlage wegzustecken scheint und der ohne die geringsten Zugeständnisse seinem Metier treu bleibt. Obendrein kann Isaac/Llewyn hinreißend singen: „Wenn er auf der Bühne steht, dann spürt man seine Seele“, sagt der Schauspieler über seine Figur.

Begeisterte Beobachter  in Cannes sagen Oscar Isaac jetzt bereits ernsthafte Chancen für den Filmpreis gleichen (Vor-)Namens voraus. Auch in Cannes ist „Inside Llewyn Davis“ in allen Belangen preisverdächtig. Coen-Fans dürfen sich auf einen famosen Film freuen. Allerdings wird die Vorfreude lange dauern: Der Kinostart ist erst im Winter angesetzt.