Cannes. Wie soll eine Mutter damit umgehen, wenn sich herausstellt, dass ihre wohlerzogene Teenager-Tochter das Taschengeld als Luxus-Callgirl aufbessert? Was treibt eine Gang von Upper-Class-Teenagern aus L. A. dazu an, in die Häuser von Prominenten einzubrechen, um dort die Kleiderschränke leerzuräumen? Beim Festival Cannes ging es am 16. Mai um ungewöhnliche Wege jugendlicher Selbstfindung.
Leinwand frei für Francois Ozons „Jeune & Jolie“. Wer sich ahnungslos ins Kino setzt, glaubt hier erst einmal, leichter Sommerkost zuzuschauen. Die knapp 17-jährige Isabelle (Neuentdeckung Marine Vacth) nutzt den Strandurlaub zum Flirt mit einem feschen Deutschen und gleich auch dazu, ihre Jungfräulichkeit loszuwerden.
Doch dann gibt sie ihrem Lover den Laufpass, und als es Herbst wird - die Familie ist zurück in Paris - sieht man Isabelle, wie sie an einer Zimmertür in einem Luxushotel klopft. Hinter der Pforte warten ein ziemlich alter Mann und ziemlich viel Geld. Isabelle hat sich entschlossen, zur Sex-Dienstleisterin zu werden.
Vormittags geht sie ins Gymnasium, nachmittags ins Hotel, und abends zählt sie daheim ihre Banknoten, die sie in einer versteckten Schachtel aufbewahrt. Monatelang geht das so dahin, bis die Affäre mit einem großen Knall auffliegt. Und Isabelles Mutter aus allen Wolken fällt.
Der Regie-Virtuose Ozon, der sich in seinen Filmen so gern um weibliche Lebensentwürfe kümmert („Acht Frauen“, „Swimming-Pool“), nähert sich seinem unmoralischen Thema, ohne zu moralisieren. Als Beobachter.
Lakonisch schaut er zu (und lässt das Publikum zuschauen), wie sich das Mädchen Schritt für Schritt weiter in die Welt der Luxus-Prostitution begibt. Lakonisch, und zugleich voll Mitgefühl, zeigt er den Schmerz der Mutter, die nicht fassen kann, wie ihr und was mit ihrer Tochter geschieht. Und dann lässt er noch die wunderbare Charlotte Rampling auftreten, in einer Szene mit dem jungen Mädchen, in der die alternde Dame erzählt, dass sie einst einmal davon geträumt habe, sich für Sex bezahlen zulassen. Doch sie habe das nie zu realisieren gewagt.
Was soll man von der Geschichte halten? „Jeune & Jolie“ („Jung und schön") enthält sich des Kommentars. Francois Ozon wirft einen Blick auf ein Thema, das tabu ist, von dem man aber weiß, dass es existiert. Alle weiteren Gedanken bleiben dem Zuschauer überlassen.
Während also bei Ozon das Ende offen bleibt, ist bei Sofia Coppolas „The Bling Ring“ vom ersten Moment alles klar. Es geht um die wahre Geschichte einer Teenager-Gang aus Los Angeles (vier Mädchen und ein Junge), die bei Paris Hilton, Lindsay Lohan oder Orlando Bloom einbricht, wenn die Internet-Recherche ergibt, dass die Stars gerade nicht in der Stadt sind. Finden die Teenies Geld, nehmen es mit. Doch vor allem haben sie es auf Mode, Schmuck und Marken abgesehen.
Die Kids haben ihre Köpfe mit einer gründlichen Gehirnwäsche weichgespült. Als einzige Lebensinhalte sind ihnen Promi-Geilheit und die Sucht auf Markennamen („Oh my god! It's Prada!“) geblieben. Sie hinterlassen bei ihren Coups Fingerabdrücke, DNA-Spuren und Aufnahmen auf Überwachungskameras. Selbst wenn sie besser aufpassen würden, wäre das wurscht, weil sie Fotos ihrer Raubzüge auf Facebook veröffentlichen.
Sie sind so unpackbar blöd (und stellen sich entsprechend blöd an), dass man nur denken kann: Wenn Teenager wie diese die Zukunft ihres Landes repräsentieren, dann ist es um die Weltmacht USA bald geschehen.
Als Gast aus London ist übrigens „Harry Potter“-Star Emma Watson (mit US-Akzent) erfolgreich darum bemüht, eine Dumpfbacke der Extraklasse zu spielen.
Was sie in Cannes zu „The Bling Ring“ zu sagen hatte, klang hingegen gescheit: „Ich glaube, diesen Kids ging es nicht ums Stehlen, sondern darum, den Lifestyle der Promis zu kopieren. Die Technologie sorgt heute dafür, dass die Bilder von Celebrities überall und jederzeit verfügbar sind. Das führt dazu, dass manche Teenager glauben, die Welt sei so, wie sie von den Paparazzi-Fotografen abgebildet wird.“
In der Realität war der Promi-Traum der Gang bald vorbei. Die Teenager wurden verhaftet und zu Gefängnisstrafen verurteilt. Eine Reportage über den Fall war die Grundlage des Films. Regisseurin Sofia Copolla über ihr Dokudrama, das wie eine absurde Farce wirkt: „Ich glaube, die Gehirne dieser Kids wurden zu rasch geformt, um die Konsequenzen ihrer Taten zu ermessen.“