Berlinale 2020

Ein Wettbewerb der dunklen Farben

26.02.2020
von  Peter Beddies
Der erste von 18 Filmen im Wettbewerb um den Goldenen Bären: „Hidden Away“ © Chico De Luigi
Im Wettbewerb um den Goldenen Bären überwiegen in diesem Jahr, so Festival-Chef Carlo Chatrian, „die dunklen Farben“. Der neue Mann im Direktionsbüro hat ganz bewusst Filme ausgewählt, „die eher illusionslos auf die Gegenwart blicken – nicht weil sie Schrecken verbreiten, sondern weil sie uns die Augen öffnen wollen.“ Der Wettbewerb ist folglich reich an kleinen Dramen cineastischer Filmkünstler, doch arm an glamourösen Namen. Hier ein Blick auf drei der 18 Produktionen, die im Bären-Rennen antreten.
„Hidden Away“: Elio Germano in der Rolle des Malers Antonio Ligabue © Chico Di Luigi

„Hidden Away“: Künstler-Biografie von Giorgio Diritti (Italien)

Mit „Hidden Away“ hat der Wettbewerb um den Goldenen Bären 2020 begonnen. Das Künstlerdrama ist ein Film, der Eindruck hinterlässt. Zugleich einer, auf den sich die Jury vielleicht verständigen könnte, wenn man sich nicht einig ist.
Es geht um die Leidensgeschichte des italienischen Malers Antonio Ligabue (1899 – 1965). Heute werden seine naturalistischen Gemälde um bis zu 200.000 Euro gehandelt. Schon zu Lebzeiten begann sein Erfolg. Aber Ligabue konnte weder mit dem Ruhm noch mit Geld umgehen, und so starb er bettelarm.
Der Maler, der psychisch krank war und nicht von vorteilhaftem Äußeren, hatte während seines Lebens immer damit zu kämpfen, dass ihn die Gesellschaft nicht akzeptierte. Regisseur Giorgio Diritti erzählt seine Geschichte nicht chronologisch, was es manchmal zu einer kleinen Denksport-Aufgabe macht, in welchem Jahr wir uns gerade befinden. Herausragend ist das Schauspiel von Elio Germano in der Titelrolle. Wie er dieser geschundenen Existenz Seele einhaucht, ist preiswürdig.      
 
Ein Western mit Kuh: „First Cow“ von Kelly Reichardt © Allyson Riggs/A24

„First Cow“: Western von Kelly Reichardt (USA)
Die US-Regisseurin Kelly Reichardt bleibt auch in „First Cow“ ihrem Leitthema treu: der Besiedlung des amerikanischen Westens durch die Einwanderer und was das mit Mensch und Natur gemacht hat. Auch ihr Stil ändert sich nicht. Es geschieht nicht sonderlich viel in ihrem Film, und wenn, dann mit Bedacht.
In „First Cow“ passiert in den ersten 20 Minuten so gut wie nichts. Aber was dann kommt, verdient den Titel „ungewöhnlichster Western aller Zeiten“. Ein Koch, der nur selten spricht, und ein Chinese haben die Idee zu einem lukrativen Geschäft. Sie stehlen nachts die Milch der ersten Kuh, die es überhaupt in der Gegend gibt, und backen daraus leckere Teigwaren. Plätzchen statt Patronen – das deutsche Feuilleton war über „First Cow“ außer sich vor Freude. In die Kinos wird es dieses Werk allerdings eher nicht schaffen. Aber „First Cow“ taucht ganz bestimmt demnächst im Streaming-Dienst ihres Vertrauens auf.
 
Ungewöhnlich: Eine Komödie im Berlinale-Wettbewerb - „Delete History“ © Berlinale

„Delete History“: Groteske von Benoit Delépine & Gustave Kervern (Frankreich)

„Delete History“ ist ohne Frage der lustigste Film im Wettbewerb – wenn nicht der ganzen Berlinale 2020. Seit ihrem Erstling „Aaltra“ verstehen es Delépine & Kervern wie kaum jemand anders momentan, absurden Humor auf die Leinwand zu packen. In ihrem neuen Geniestreich „Delete History“ knöpfen sie sich die Fessel unseres Alltags vor – die uns umgebenden digitalen Geräte. Was die Maschinen alles kaputt machen und wie es Menschen ergeht, die sich gegen große Tech-Konzerne zur Wehr setzen. Slapstick-Humor und scharfe Dialoge ohne Ende. Hier wird sehr grob vorgegangen. Nicht jeder der zahlreichen Gags sitzt. Aber am Ende ist klar: Wir alle sind schuld an unserem selbst gewählten multimedialen elektronischen Elend.