Mode. „Alle großen Leistungen werden von Neurotikern vollbracht“, heißt es an einer Stelle in „Yves Saint Laurent“, dem Film. Ein andermal hört man: „Die scheuen Menschen regieren die Welt“. Beide Sätze bilden das Fundament des feinen Films von Regisseur Jalil Lespert. „Yves Saint Laurent“ schildert den rasanten Aufstieg eines schüchternen, aber genialen Modeschöpfers, der schon mit 21 zum Art Direktor bei Dior wurde und mit 26 seine eigene Marke YSL gründete.
Zugleich ist die Biografie ein hinreißender Film über die Liebe. Am Anfang flirtet der junge Mann in den Jazzclubs von Paris noch mit schönen Mädchen, die ihm den Hof machen. Einer verspricht er sogar die Ehe. Doch bald ahnen die Damen: „Der steht nur auf Jungs“. Im souveränen Pierre Bergé findet der wankelmütige Modekünstler die Liebe seines Lebens und zugleich einen Geschäftspartner, mit dem er trotz großer Krisen bis zum Ende seiner Tage (Saint Laurent starb 2008 mit 71 Jahren an den Folgen eines Hirntumors) eng verbunden blieb.
„Yves Saint Laurent“ braucht keine großen Stars, um ein großer Film zu werden. Für die Titelrolle fand man mit dem 21jährigen Pierre Niney einen hochtalentierten Darsteller, der seinem Rollenvorbild frappierend ähnlich sieht. Guillaume Gallienne stattet den Pierre Bergé mit geballtem Charme, Coolness und großer Geduld aus - letztere hat er angesichts seines flatterhaften Lebenspartners auch nötig. Nikolai Kinski amüsiert als junger Karl Lagerfeld.
Seine stärksten Sequenzen hat der Film dort, wo er den Fokus auf das Genie und die Leidenschaft des Modeschöpfers Yves Saint Laurent richtet. Wenn man YSL beim Zeichnen über die Schulter schaut, wenn man den Perfektionismus sieht, mit dem er noch die kleinsten Details seiner Entwürfe korrigiert, dann kann man verstehen, dass auch die Mode das Recht begehrt, zu den großen Künsten gezählt zu werden. Faszinierend.
Krieg. Zu den intensivsten Momenten von „Yves Saint Laurent“ zählt die Szene, wenn der Titelheld einen Nervenzusammenbruch erleidet, weil er zum Wehrdienst (und damit zum Einsatz im Algerienkrieg) eingezogen werden soll. Der englische Rekrut Gary (Jack O’Connell) hat im Drama „‘71“ – der Titel bezeichnet das Jahr, in dem der Film spielt - hingegen keine Chance, vor der Zwangsverpflichtung zum Militär zu flüchten.
Gary durchläuft die knochenharte Grundausbildung und wird dann mit seiner Einheit nicht, wie erwartet, zum gemütlichen Friedens-Einsatz in Deutschland geschickt. Sondern nach Nordirland. Dort erwartet ihn die Hölle.
Denn Anfangs der Siebziger Jahre toben die Konflikte zwischen nordirischen Protestanten und Katholiken in einem Ausmaß, das an einen Bürgerkrieg erinnert. Gary bekommt das gleich bei seinem ersten Einsatz in Belfast mit aller Gewalt zu spüren. Erst muss er mitansehen, wie ein Kamerad auf offener Straße erschossen wird. Dann gerät er selbst ins Kreuzfeuer der IRA-Aktivisten. Mit knapper Not entkommt er dem Kugelhagel – und flüchtet sich in eine albtraumhafte Nacht, in der er immer wieder zwischen die Fronten gerät.
Der französisch-britische Regisseur Yann Demange nimmt in seinem fesselnden Film weder für die eine noch für die andere Konfliktpartei Stellung – er demaskiert den sinnlosen Wahnwitz bewaffneter Auseinandersetzungen. Am Ende bleiben zahlreiche Kämpfer tot am Boden liegen. „‘71“ ist der erste wirklich starke Wettbewerbs-Beitrag der 64. Berlinale, dessen Wirkung noch dazu durch das Wissen um die historischen Entwicklungen verstärkt wird. Denn was hat der Konflikt den fanatischen Aktivisten gebracht? Nichts. Protestanten und Katholiken leben in Belfast seit Jahren leidlich friedlich zusammen. Und alle sind sie Bürger der EU.