David Schalko über seine Serie „M - Eine Stadt sucht einen Mörder“


„Die Stadt ist der Hauptdarsteller“

19.02.2019
Interview:  Peter Beddies

David Schalko verlegte „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ von Berlin nach Wien © Pertramer Superfilm

Erst „Braunschlag“, dann „Altes Geld“ und jetzt „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“: Der Wiener Autor und Regisseur David Schalko arbeitet sich Schritt für Schritt an die Spitze der deutschsprachigen Serien-Spezialisten. Seine neue Version von Fritz Langs Krimi-Klassiker „M“, die jetzt im ORF und ab 23. Februar bei TV Now (RTL) zu sehen ist, wurde in Berlin bei der Premiere im Rahmen der Berlinale gefeiert. FilmClicks traf David Schalko dort zum Interview. 


„M - Eine Stadt sucht einen Mörder“: Ein Meisterwerk, neu verfilmt © Pertramer / Pichler / Superfilm

FilmClicks: Herr Schalko, „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ ist einer der berühmtesten Filme der 1930er Jahre. Wie viele Menschen haben Ihnen dringend von der Idee abgeraten, den Klassiker erneut zu verfilmen?
David Schalko: Oh, da gab es viele Bedenkenträger. Wir haben ja selbst überlegt, ob das eine blendende Idee ist, einen der besten Filme aller Zeiten nochmal zu machen. Aber es gab dann Dinge, die uns wahnsinnig gereizt haben. 
 
Zum Beispiel?
Dass die Stadt die Protagonistin ist. Oder die politischen Parallelen. Außerdem schreit dieser Stoff wirklich danach, in eine moderne Serienform gegossen zu werden. Ich glaube sogar, dass Regisseur Fritz Lang - wenn er heute den Stoff umgesetzt hätte - sich auch für eine Serie entschieden hätte. 
 
Ist Ihre 2019er Version von „M“ ein Remake?
Das weiß ich nicht so recht. Man kann es nicht als klassisches Remake bezeichnen, weil die Geschichte neu geschrieben wurde. Es ist eher wie eine Cover-Version. Wir haben viele Bilder und auch Sätze übernommen. Vielleicht könnte man die Serie als ein sehr freies Remake bezeichnen.
 
Viele Menschen dürften heute nicht mehr wissen, was sich hinter „M“ verbirgt…
…macht nichts. Dann schauen die sich halt den Klassiker von 1931 nochmal an.
 
Völlig klar. Aber wie würden Sie in zwei oder drei Sätzen beschrieben, was das Original so außergewöhnlich macht?
Der Film war wahnsinnig innovativ damals. Es war einer der ersten Tonfilme. Dann dieses Changieren zwischen den Genres. Das ist ein Film, der in Wahrheit aus 20 Genres besteht. Auch die Parallelmontagen waren neu für die damalige Zeit. Und natürlich, dass die Stadt der Hauptdarsteller ist.

„Die Stadt ist der Hauptdarsteller“: Eine „M“-Straßenszene am Wiener Kohlmarkt © Pertramer / Pichler / Superfilm

Die ultimative Herausforderung wäre es gewesen, den Film in Berlin - wo ja auch das Original spielt - zu drehen. Warum haben Sie das nicht gewagt?
Weil ich Wien besser kenne als Berlin. Man sollte so etwas in der Stadt machen, die man am besten kennt. Und außerdem war Fritz Lang ein Wiener. Insofern schließt sich der Kreis. 
 
Kann man „M“ einfach so neu verfilmen? Oder gibt es eine Gesellschaft, bei der man wegen der Urheberrechte nachfragen muss?
Man muss die Rechte von einem Filmhändler kaufen. Mit dem muss man verhandeln, ob man die Rechte bekommt. Der hatte sie bisher nicht freigegeben. Nach vielen Gesprächen haben wir die Rechte bekommen. Aber die sind noch nicht frei verfügbar. Fritz Lang ist ja auch erst 1976 gestorben. 
 
Sie warten in Ihrer Version lange, bis Sie M das erste Mal zeigen.
Ja. In den ersten beiden Folgen hört man nur das für ihn so typische Pfeifen. Das greifen etliche Leute auf, auch Polizisten. Sie haben es irgendwo gehört. Man hat das Gefühl, dass es einen Virus in der Stadt gibt, der sich nach und nach verteilt. Diese Idee gefiel mir.
 
Sie sind in Wien zuhause. Wie leicht oder schwer ist es Ihnen gefallen, für die Serie die richtigen Bilder zu finden? Vielleicht auf das Offensichtliche zu verzichten?
Na ja, wir haben schon einige Klischeebilder – wie den Stephansdom – im Film. Aber halt anders gefilmt, als man ihn eigentlich kennt. Nämlich bei Nacht, und die Straßen ringsum sind leer. Oder wir zeigen die Gründerzeit-Häuser. Wir haben darauf geachtet, dass die Original-Schauplätze so aussehen, als hätten wir im Studio gedreht. Das gibt dem Ganzen eine entrückte Atmosphäre und ist zugleich eine Hommage an den Expressionismus. Wir wollten das Kulissenhafte nutzen, das Wien ja auch hat. Das war auch einer der Gründe für uns, die Serie in Wien spielen zu lassen. 
 
Eine Stadt, die Sie sehr lieben?
Ja, eine Stadt, die ich sehr liebe. Es gibt auch viele Sachen, die ich an Wien hasse. Aber das geht wahrscheinlich jedem Menschen so mit der Stadt, in der er lange lebt. Außerdem, ich weiß gar nicht, ob der Wiener zwischen Hassen und Lieben einen so großen Unterschied macht (lacht).

„Ein toller Kameramann“: David Schalko (r.) mit Martin Gschlacht © Pertramer / Pichler / Superfilm

Die Serie hat einen irre tollen Look, dem man sich nur schwer entziehen kann.
Mir war völlig klar, dass ich dieses Projekt nur mit dem Wiener Kameramann Martin Gschlacht verwirklichen konnte. Er ist ein toller Kameramann, der eben diese Bildsprache, die ich wollte, sehr gut umsetzen kann. Es sollte ein bisschen so wirken wie aus der Zeit gefallen.
 
Und zugleich ist die Bildsprache sehr modern. Wer jeden Abend bei den Streaming-Diensten zu Gast ist, der wird Stück für Stück wieder vom Hektischen weggeholt.
Stimmt. Sehe ich genauso. Serien zu schauen, also die Serien der letzten Jahren, verlangt dem Zuschauer einiges an Geduld ab. Aber die Menschen gehen diesen Weg oft gern mit. Durch die Serien haben wir uns als Zuschauer wieder an eine langsamere Erzählweise gewöhnt. Und das ist ja schön. Wer weiß, vielleicht ist die Serie ja wirklich der neue Roman?!
 
Es gibt in Ihrer Version von „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ kaum jemanden, der sympathisch rüberkommt. 
Ja, und nur die Kinder haben Namen, die Erwachsenen hingegen nicht. Das hat viel damit zu tun, das ich hier von der verlorenen Unschuld der Erwachsenenwelt im Vergleich zur Kinderwelt erzählen wollte. Ich finde Figuren auch viel spannender, wenn sie im ersten Moment unsympathisch sind. Wenn sich diverse Schattierungen von Grau auftun. Denn an Schwarz und Weiß glaube ich nicht. Und, was man nicht vergessen darf: Es ist ja wie im Leben. Auch dort gibt es niemanden, der zu 100 Prozent gut ist. Oder kennen Sie so jemanden? Der keinen Dreck am Stecken hat?
 
Wie haben Sie die Figuren des Films von 1931 ins Jahr 2019 geholt?
Sophie Rois als Obergaunerin ist eine Frau. Die oberste Polizistin ebenfalls. Es war uns wichtig, zu zeigen, dass jetzt nicht mehr alles männlich behaftet ist. Und das hat ja Auswirkungen auf die gesamte Serie. Man besetzt ja nicht nur einfach Frauen. Wie sie miteinander reden zum Beispiel, das ist völlig anders, als wenn zwei Männer miteinander reden würden. 

Politiker-Szene: „Muss mich bei der Regierung bedanken“ © Pertramer / Pichler / Superfilm

Inwiefern ist die neue Regierung in Wien, die ja nicht nur in Österreich kritisch gesehen wird, für Sie als Geschichtenerzähler ein Geschenk?
Als wir anfingen, zu schreiben, waren die noch nicht an der Regierung. Nun hat alles etwas länger gedauert als gedacht und dadurch kann man das Gefühl bekommen, wir hätten erst gestern mit dem Schreiben begonnen. Das Timing ist also sehr gut. Ich bin sehr zufrieden und muss mich an der Stelle auch mal bei der Regierung bedanken. 
 
Aber hatten Sie Sebastian Kurz und Co. beim Schreiben im Hinterkopf?
Wir hatten eine bestimmte Art von Politikern im Hinterkopf. Die gibt es ja nicht nur in Österreich. Die gibt es in Frankreich, die gibt es in Deutschland - von der AfD. Die gibt es überall. Und auch dieser Politiker, der sich sehr körperlich definiert, der einen Staat wie ein Manager führt - so eine Macher-Ideologie vor sich herträgt - und dem zugleich Bürgerrechte wenig bedeuten, den gibt es überall und der ist da dargestellt. Der wird uns auch noch sehr lange erhalten bleiben, fürchte ich.