Kevin Richardson über den Film „Mia und der weiße Löwe“


„Es gibt keine schlechten Tiere – nur schlechte Menschen“

02.02.2019
Interview:  Peter Beddies

Der Löwenflüsterer: Zoologe und Verhaltensforscher Kevin Richardson mit einem seiner Schützlinge © Studiocanal

Im Kino-Abenteuer „Mia und der weiße Löwe“ spielt ein Mann eine Hauptrolle, den man auf der Leinwand niemals sieht: Kevin Richardson. Der Zoologe und Verhaltensforscher, der in seinem Heimatland Südafrika einen Naturpark mit Dutzenden Tieren betreibt, ist der Tier-Betreuer der Produktion. Seine wichtigste Aufgabe war der Umgang mit dem Löwen Thor, der im Film Charlie heißt und der im Laufe der dreijährigen Dreharbeiten vom Löwenbaby zur mächtigen Großkatze heranwuchs. FilmClicks hat mit Kevin Richardson – den die Medien auch den Löwenflüsterer nennen – letztens bei seinem Besuch in Berlin gesprochen.


Gute Freunde: Mia-Darstellerin Daniah de Villiers und Löwe Thor alias Charlie © Studiocanal

FilmClicks: Mr. Richardson, Sie reisen gerade rund um die Welt, um den Film „Mia und der weiße Löwe“ vorzustellen. Aber Ihre Tiere können Sie nicht mitnehmen.

Kevin Richardson: Ja, das stimmt. Das gehört zu den Nachteilen des Reisens. Man muss seine täglichen Abläufe ändern. Man sieht seine Tiere nicht mehr. Auf der anderen Seite schärft es auch die Sinne. Man bekommt wieder einmal vor Augen geführt, wie gut es einem doch geht. Welchen Traum man jeden Tag leben kann.
 
Würden Sie sagen, dass Ihre Tiere Sie vermissen?
Es ist schwierig, mein Verhältnis zu Löwen in solchen Parametern zu messen. Wenn ich eine Weile weg war, dann zeigen sie schon gewisse Anzeichen, dass sie einen vermissen. Aber das kommt von einem egoistischen Gefühl. Sie denken keineswegs: „Oh Mann, dieser Kevin ist aber echt ein toller liebenswürdiger Typ!“ Sie merken, dass ihnen etwas fehlt, wenn man nicht in ihrer Nähe ist. Und das drücken sie dann auch aus. Was wir aber keinesfalls tun dürfen, ist es, wilde Tiere zu vermenschlichen. Das wäre sehr gefährlich.
 
Sie kommen bei Ihrer Arbeit sehr dicht an die Löwen heran. Sie schauen ihnen in die Augen. Sehen Sie da etwas wie - beispielsweise - Weisheit? Oder geht dieser Gedanke zu weit?
Es spielen sich mehr Sachen im Kopf eines Löwen ab, als wir uns das normalerweise vorstellen. Als ich vor über 25 Jahren begann, mich mit ihnen zu beschäftigen, hatte ich auch solche vorgefertigten Ideen in meinem Kopf. Der Löwe als der König des Dschungels. Wir sehen Filme und lesen Bücher und beginnen zu glauben, die Tiere wären so wie da beschrieben. Für mich war es eine Art Erweckung, als ich zum ersten Mal einem Löwen direkt gegenüberstand und er mich erkannte. Es ist viel dran am alten Spruch: „Tiere sind ehrlich“. Sie verstellen sich nicht.
 
Wenn man mal einen schlechten Tag hat…
…dann macht man am besten einen großen Bogen um ihr Gehege. Löwen spüren sehr genau, wenn es einem nicht gut geht. Und man sollte auch genau darauf achten, ob es ihnen nicht gut geht. Dann sollte man sie auch in Ruhe lassen. Das allerwichtigste beim Umgang mit wilden Tieren: Respektiere sie!
 
Was ist das größte Missverständnis über Löwen?
Dass sie gedankenlose Killer-Maschinen sind. Ja, sie können blitzschnell töten. Aber ich habe in all den Jahren noch nie erlebt, dass ein Löwe versucht hat, in meiner Gegenwart herauszukehren, dass er das dominierende Wesen ist, das mich unterdrücken will. Deshalb sage ich immer wieder gern: „Es gibt keine schlechten Tiere, nur schlechte Menschen!“.

Am Set: Regisseur Gilles de Maistre (l.), Kevin Richardson, Daniah de Villiers © Studiocanal

Wie haben Sie reagiert, als man Sie fragte, ob Sie bei „Mia und der weiße Löwe“ mitmachen würden?
Ich habe zu den Leuten vom Team gesagt, dass es für mich nur eine Art gibt, so eine Geschichte zu erzählen. Dass wir über mindestens drei Jahre hinweg drehen. Dass sich der Löwe und die Kinder aneinander gewöhnen. Dass ich nur dann mitmachen würde, wenn der Film unter diesen Bedingungen entsteht. Außerdem habe ich ihnen gesagt, dass wir jederzeit einen Plan B in der Hinterhand haben müssen.
 
Warum?
Weil man nichts zu 100 Prozent berechnen kann, wenn man mit wilden Tieren dreht. Es hätte nach zwei Jahren passieren können, dass Löwe Charlie - der eigentlich Thor heißt - zu unserer Film-Mia keine Verbindung mehr hätte haben wollen. Zum Glück war es nicht so und die beiden sehen sich auch heute noch hin und wieder. Aber bei so einem Filmprojekt gibt es etliche Unwägbarkeiten, die man mit einbeziehen muss.
 
Es gab ja vieles bei diesem Film, das ungewöhnlich war. Zum Beispiel die Tatsache, dass Sie einmal  als Kameramann eingesprungen sind.
Es gab einige Szenen, in denen aus dem putzigen kleinen Thor schon ein großes Tier geworden war. Es wäre einfach zu gefährlich gewesen, das von unserem Kameramann filmen zu lassen. So waren nur unsere Hauptdarstellerin Daniah, Thor und ich zusammen in einem Gehege. Wir kannten uns in- und auswendig. Da ließ sich die Gefahr auf ein Minimum reduzieren. 
 
War es aus Ihrer Sicht Glück, dass Sie einen Löwen wie Thor gefunden hatten? Denn der dominiert den Film. Eine richtige Type!
Ja, das hat mit Glück zu tun. Aber man sagt ja nicht von ungefähr, dass man sich sein Glück erarbeitet. Wir mussten also viel mit dem Löwen arbeiten. Es wäre um einiges schwieriger gewesen, wenn Thor ein aufbrausendes Wesen hätte. Aber - schon wieder der Begriff - zum Glück ist er sehr ausgeglichen. Und hat sehr viel mit sich machen lassen. Also im Sinne des Geschichtenerzählens. Natürlich kann man ihm nicht vermitteln, dass er dieses und jenes jetzt machen soll. Man muss dann um den Löwen herum die Geschichte erzählen. 
 
Lassen Sie uns über die generelle Situation der Löwen reden. Wie konnte es passieren, dass die Anzahl der Löwen weltweit von über 300.000 auf ungefähr ein Zehntel geschrumpft ist?
Ich empfinde das als schockierend. Die Anzahl der Löwen, die in der freien Wildbahn leben, wird immer geringer. Während es immer mehr Löwen gibt, die in Gefangenschaft leben. Da ist ein Missverhältnis entstanden. Die größte Gefahr für die in der Natur lebenden Löwen ist der Mensch. Er breitet sich immer mehr aus und nimmt den Löwen – aber auch allen anderen Tieren – das Umfeld, um zu überleben. Wir haben in Südafrika damit begonnen, Areale zu schaffen, in denen die Tiere leben können und sicher sind vor den Menschen.
 
Im Film zeigen Sie eine besonders fiese Art, Löwen zu jagen: die Gatterjagd.
Für mich hat das nichts mehr mit Jagd zu tun. Ich nenne das Abschlachten mit Garantie. Jeden Tag sterben mindestens drei Löwen in Südafrika. Man verabreicht ihnen Medikamente. Dann kommen sie in ein überschaubares Gatter. Und dort kann der Tourist, der viel Geld dafür bezahlt, den Löwen dann erlegen. Wir versuchen, mit Kampagnen auf diese Sauerei aufmerksam zu machen. Aber noch sind diese Jagden in Südafrika legal. 
 
Wie kann man die Menschen sensibilisieren?
Zum Beispiel, indem man ihnen ganz kleine putzige Löwen zeigt und sie fragt, ob sie nicht gern ein Foto hätten. Die meisten sagen sofort Ja und wollen das Foto als Erinnerung. Wenn man ihnen dann aber zum Abschied sagt: „Ach übrigens, wenn dieser Löwe vier Jahre alt ist, wird er einem Touristen vor die Flinte getrieben und getötet. Das machen wir so hier in Südafrika!“ - dann kommt als nächste Reaktion garantiert: „Moment, hier läuft doch etwas falsch!“.  So bekommt man Stück für Stück die Menschen dazu, dieses Abschlachten widerlich zu finden und etwas dagegen tun zu wollen.
 
Sie betonen oft, dass Löwen keine Streicheltiere sind…
…ja, das sage ich immer wieder. 
 
Die Tiere können sehr gefährlich sein. Nun ist letztens in Ihrem Park eine junge Frau durch einen Löwen ums Leben gekommen. Was genau ist passiert?
Um es kurz zu machen. Ein Löwe hatte einen Impala gejagt. Was ganz normal ist. Aber dieser Impala rannte weg in Richtung eines Camps, das ungefähr zwei Kilometer entfernt war. Dort wollte eine Frau gerade in ihr Auto einsteigen, als der Löwe sie entdeckte und der Unfall passierte. 
 
Also war niemand schuld?
Wissen Sie, ich sage immer wieder, dass wir Sicherheit innerhalb gewisser Grenzen gewährleisten können. Aber keine 100prozentige Sicherheit. Ich vergleiche das gern mit einem Leichtflugzeug. Ich bin der Pilot und fühle mich nach all den Jahren auch gut ausgebildet. Es steht also einem grandiosen Abenteuer nichts im Wege. Aber ich weiß nicht, was sich da oben in der Luft ereignen wird. Ich kann nicht für alles garantieren. 
 
Im Internet bekommen Sie für Ihre Arbeit viel Zuspruch. Aber auch jede Menge Kritik.
Ach ja, meine Kritiker. Es stimmt, man meint immer wieder, dass meine Arbeit mit den Löwen so leicht aussehen würde und dass dadurch Menschen auf die Idee kämen, im Krüger-Nationalpark oder sonst wo einem Löwen nahe zu kommen – und dann gefressen werden. Das ist natürlich totaler Schwachsinn. Ich will darauf aufmerksam machen, dass wilde Tiere respektiert werden. Dass wir sie beschützen müssen. Dass sie Teil dieser Welt sind, mit der der Mensch sträflich umgeht. Das ist meine Botschaft, die ich auch diesem Film mitgeben wollte.
 
Sie werden hin und wieder Löwenflüsterer genannt.
Tja, was soll ich dazu sagen? Wenn die Menschen es respektvoll und nicht effekthaschend meinen, dann ist das für mich völlig in Ordnung. Man bekommt solche Titel ja eh verliehen und kann nichts dagegen tun. 
 
Wer sich „Mia und der weiße Löwe“ anschaut, wird sich sofort in Thor verlieben. Aber auch wissen wollen, wie es ihm heute geht.
Da kann ich jeden beruhigen, der Schlimmes befürchtet. Thor lebt mit anderen Löwen in meinem Reservat. Die Dreharbeiten haben ihm nicht geschadet. Und es geht ihm gut!
 



Kritik
Mia und der weiße Löwe
„Mia und der weiße Löwe“ füllt ein altes Filmgenre mit neuem Leben: Es geht um die Begegnung zwischen Mensch und Tier. Der Film begleitet ein Mädchen namens Mia, das in Südafrika Freundschaft mit dem Löwen Charlie schließt. Mehr...