Auf den Spuren von Astrid Lindgren
10.12.2018
Interview:
Gunther Baumann
„Astrid“: Der Film über die jungen Jahre der „Pippi Langstrumpf“-Autorin Astrid Lindgren gehört zu den umschwärmten Geheimtipps des Kinojahres 2018. Hinter dem Projekt steht die dänische Filmemacherin Pernille Fischer Christensen. Im FilmClicks-Gespräch erzählt die Autorin und Regisseurin, wie sie durch ein Foto der jungen Astrid Lindgren zu ihrem Film inspiriert wurde. Warum sie die Zeit, in der die Autorin berühmt wurde, nur am Rande streift. Und wie sie ihre phänomenale Hauptdarstellerin, die junge Schwedin Alba August, gefunden hat.
FilmClicks: Astrid Lindgren ist eine der berühmtesten Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts. Doch Sie porträtieren sie in ihren jungen Jahren, als ihre literarische Karriere noch in weiter Ferne lag. Warum diese Begrenzung?
Pernille Fischer Christensen: Der Film beleuchtet jenen Abschnitt von Astrid Lindgrens Leben, über den sie einmal sagte, ohne diese Ereignisse wäre sie vermutlich auch eine Autorin geworden – aber keine so große Autorin. Sie wusste, dass sie durch die Ereignisse ihrer Jugend geprägt worden war. Astrid Lindgren ist eine der wichtigsten Künstlerinnen in meinem Leben; eine Persönlichkeit, die ich bis heute bewundere.
Ist diese Hommage also ein lang gehegtes Lieblingsprojekt von Ihnen?
Nein. Ich hatte nie daran gedacht, einen Film über Astrid Lindgrens Leben zu drehen, weil ich am Genre der Biopics nicht sonderlich interessiert bin. Viele Filmbiografien sind langweilig, wenn sie einfach die Stationen eines Lebens abzählen. Da passiert nicht viel Drama. Was mich auf die Idee brachte, war eine Schwarz-Weiß-Fotografie, die ich einmal zufällig in der Zeitung sah: Es zeigte eine sehr hübsch gekleidete junge Frau, die einen kleinen Jungen an der Hand hielt, und darunter stand „Astrid und der kleine Lasse in Kopenhagen“. Der Artikel dazu war die Rezension eines Buches namens „Astrids Leben in Bildern“. Ich kaufte dieses Buch – und es nahm mich komplett gefangen. Denn ich sah da eine Frau, die total anders war, als ich mir Astrid Lindgren vorgestellt hatte: Eine kleine Rebellin; ein Mädchen, das an Pippi Langstrumpf erinnert. Eine junge Frau, die sehr offen, aber auch ein wenig durchgeknallt wirkte, wie eine leichte Borderlinerin. Ich war fasziniert und ich dachte: Wer bist du, Astrid Lindgren? Was ist deine Story?
Haben Sie eine Antwort auf diese Fragen gefunden?
Wenn man ein Biopic macht und damit beginnt, das Leben eines anderen Menschen zu dramatisieren, dann nimmt man diesen Menschen durch die eigene Interpretation irgendwie zur Geisel. Ich bin daher sehr behutsam vorgegangen und begann erst einmal, an allen möglichen Quellen zu recherchieren. So stieß ich auf die Geschichte einer Frau, die mit 19 Jahren eine Erfahrung macht, die ihr ganzes Leben verändert, weil sie ein Kind bekommt, ihren Sohn aber auf Druck ihrer Eltern zu einer Pflegemutter geben muss. Und die sich dann – in den 1920er Jahren, als Frau – für ein Leben entscheidet, in dem sie nicht heiratet und in dem sie gegen das Gefühl der Scham, gegen Geschlechter-Vorurteile und gegen die Kirche kämpft.
Stimmen Sie zu, wenn man „Astrid“ nicht nur als Biografie, sondern auch als Film über Frauenrechte einstuft?
Obwohl ich eine Frau bin, habe ich Astrid Lindgrens Leben nicht aus einer politischen Perspektive betrachtet – ich war einfach an ihrer Lebensgeschichte interessiert. Aber natürlich ist der politische Aspekt in der Story enthalten, und es ist sehr wichtig, dass Geschichten über Frauen erzählt werden. Ich weiß aus meinem Land, aus Dänemark, dass es viele großartige Frauen gab, über die heute kaum etwas bekannt ist. Weil ihre Biografien aus der Geschichtsschreibung ausradiert wurden. Ich würde gern mehr solche Geschichten erzählen.
„Astrid“ wird sehr stark durch die großartige Hauptdarstellerin Alba August geprägt. Kannten Sie Alba schon vor dem Projekt?
Nein, ich kannte sie nicht. Beim Schreiben des Drehbuchs hatte ich noch keine Darstellerin vor Augen, da kümmerte ich mich wie immer vor allem um das Drama, um die Figuren und darum, dass die Geschichte funktioniert. Als wir dann mit dem Casting begannen, standen wir vor dem Problem, dass wir eine Darstellerin brauchten, die das Alter zwischen 16 und 19 Jahren spielen kann. Es ist schwer, ausgebildete Schauspielerinnen in diesem Alter zu finden. Bei den ersten offenen Castings, zu denen sehr viele junge Mädchen kamen, wurde ich etwas depressiv, weil ich realisierte, wie schwierig es werden würde, die Rolle zu besetzen. Also begannen wir, in den Schauspielschulen zu suchen. Und da kam eines Tages Alba August bei der Tür herein. Wow. Sie begeisterte mich auf den ersten Blick. Alba ist extrem mutig und emotional extrem clever. Mir ist bis heute nicht klar, wie sie in ihren jungen Jahren schon so viel über die menschliche Befindlichkeit wissen kann. Zugleich hat sie etwas Kindliches in sich, was natürlich perfekt zu unserer Story passte. Bei der Vorbereitung hat sie sich sehr viele Filmaufnahmen mit Astrid Lindgren angeschaut, um ihre Eigenheiten nachspielen zu können.
Alba August stammt ja aus einer bekannten Film-Familie; ihre Eltern sind die Schauspielerin Pernilla August und der Regisseur Bille August, der unter anderem „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“ drehte. Glauben Sie, hat Alba diese Prägung bei der Arbeit geholfen?
Da sie auf Filmsets und in einer Familie aufwuchs, in der sehr viel über Film und über das Schauspielen geredet wurde, hat sie das sicher geprägt. Aber sie ist definitiv kein verwöhntes Kind, sondern eine sehr harte Arbeiterin. Und so wie die junge Astrid Lindgren hat sie etwas von einer Rebellin an sich.
Haben Sie manchmal insgeheim den Wunsch, Astrid Lindgren könnte Ihren Film sehen?
Natürlich stelle ich mir manchmal die Frage, wie sie reagieren würde. Möglicherweise würde sie der Film ein wenig einschüchtern, weil wir ja sehr intime Szenen aus ihrem Leben zeigen. Aber ich glaube, sie würde Alba August lieben.
Eine nicht ganz ernst gemeinte Anmerkung zum Schluss: Da Sie in „Astrid“ nur die jungen Jahre von Astrid Lindgren schildern, könnten Sie als Nächstes ja „Astrid 2“ drehen…
(Lacht) Ich weiß nicht, ob es in so einer Fortsetzung große Dramen zu erzählen gäbe. In ihren späteren Jahren war Astrid Lindgren eine Hausfrau und Verlagsangestellte, und frühmorgens setzte sie sich hin, um ein Buch zu schreiben, und das wurde dann veröffentlicht. Und so fort. Das könnte ein sehr langweiliger Film werden.