Lisa Antoni über ihre Rolle als Synchron-Gesangsstimme von Emily Blunt


„Ich fühle mich wahnsinnig geehrt“

28.12.2018
Interview:  Gunther Baumann

Lisa Antoni singt in „Mary Poppins‘ Rückkehr“ auf Deutsch die Lieder von Emily Blunt © Disney

Die Sopranistin Lisa Antoni hat in der deutschen Sprachfassung von „Mary Poppins‘ Rückkehr“ eine wichtige Stimme: Sie singt die Lieder von Titeldarstellerin Emily Blunt. Disney engagierte die Wienerin für die anspruchsvolle Aufgabe, die Intensität und die Emotionen von Emily Blunts Songs in die deutsche Fassung zu übertragen. Also übersiedelte die renommierte Musical-Darstellerin, die seit Jahren auf den großen Bühnen daheim ist, kurzfristig ins Tonstudio. Im FilmClicks-Gespräch erzählt Lisa Antoni über die aufregenden Tage vor dem Mikrofon. Und sie blickt auf die Jahre ihrer Ausbildung zurück: „Es gab viel Arbeit und viele Tränen. Aber es hat sich ausgezahlt.“


FilmClicks:  Frau Antoni, wie wird man zur Synchron-Sängerin in einem großen Hollywood-Filmmusical?
Lisa Antoni: Ich bin eine Quereinsteigerin in diesem Metier. Vor „Mary Poppins‘ Rückkehr“ habe ich so eine Arbeit noch nie gemacht. Es gibt, soweit ich weiß, auch keine regulären Castings für Musical-Sängerinnen beim Film, wo man sich bewerben könnte. Ich hatte das Glück, dass ich empfohlen wurde – ich mache ja schon seit zwölf Jahren Musicals. Dann habe ich ein paar Lieder abgeschickt und man fand meine Stimme sehr passend im Vergleich zu jener von Emily Blunt. Disney hat meine Verpflichtung schließlich abgesegnet, und so ging es los.
 
Die Synchronisation von Sprechstimmen funktioniert so, dass die Dialoge in winzige Schnipsel von weniger als einer Minute Dauer zerschnitten werden. Ihre Lieder mussten Sie aber wahrscheinlich komplett durchsingen, oder?
Nun, ich hatte zuvor angenommen, dass ich meine Lieder einige Male durchsingen würde und dass das dann im Studio zusammengeschnitten wird. Aber wir haben immer kurze Passagen aufgenommen und anschließend wieder abgebrochen – so lange, bis wir von jedem Take genug Material beieinander hatten. Das war eine komplett andere Arbeit als auf der Bühne. Ich konnte mich nicht darauf verlassen, einfach schön zu singen, sondern ich habe festgestellt, dass man durch diese Vorgangsweise etliche Nuancen herausholen kann. Man muss auf viele Details achten: Auf das Original zum Beispiel oder darauf, dass sich das Gefühl der Figur überträgt. Das ist auf der Bühne natürlich genauso, aber da verkörpere ich auch die Rolle, während ich bei der Synchronisation unsichtbar bleibe.

„Eine komplett andere Arbeit als auf der Bühne“: Lisa Antoni im Studio © Disney

Wenn man Ihre Lieder im Film hört, wirken sie aber wie aus einem Guss. Man würde nie auf die Idee kommen, dass sie aus vielen kleinen Einzelaufnahmen zusammengestellt wurden.
Ja, das gelingt im Tonstudio ganz super, dass man die Übergänge gar nicht mehr hört. Aber das machen viele Pop-Sänger genauso. Da wird alles zusammengeschnipselt.
 
Haben Sie Ihre Lieder einstudiert wie eine neue Rolle auf der Bühne?
Nein, eigentlich nicht, denn ich wusste ja, dass ich mich an das anpassen musste, was Emily Blunt gemacht hatte. Also konnte ich nicht meine eigene Rolle kreieren. Aber ich hatte mich mit der Figur bereits auseinandergesetzt. Es gibt ja ein „Mary Poppins“-Bühnenmusical, und dafür hatte ich mich schon einige Male beworben – leider, ohne den Part dann auch zu bekommen. Ich kannte aber den Originalfilm, und Emily Blunt finde ich sowieso super. Sie spielt die Mary Poppins genau so, wie ich es wahrscheinlich auch hätte machen wollen.
 
Bei Bühnen-Produktionen müssen Sie Ihren kompletten Text für die Proben einstudieren. Reichte es bei der Arbeitsweise im Tonstudio aus, wenn Sie die Texte erst kurz vor den Einspielungen lernten?
Ich hatte gedacht, ich würde meinen Text schon auswendig können, wenn ich zum Studio nach München komme. Aber dann erhielt ich meinen finalen deutschen Text erst circa eine Woche vor den Aufnahmen, weil der bis dahin noch überarbeitet wurde. Damit man sich im Studio ganz aufs Bild konzentrieren kann, muss der Text wirklich perfekt sitzen, und so weit war ich nach der einen Woche noch nicht. Also war ich ganz froh, dass ich im Studio immer wieder aufs Blatt schauen und Stück für Stück vorgehen konnte.
 
Konnten Sie „Mary Poppins‘ Rückkehr“ komplett anschauen, bevor Sie mit den Aufnahmen der Lieder begannen?
Nein, noch nicht. Ich habe vielleicht die Hälfte des Films vorab gesehen – die Synchronsprecherin, die Emily Blunts Dialoge spricht, war übrigens noch nach mir dran. Doch das, was ich im Studio sah, genügte, um einen guten Eindruck vom ganzen Film zu bekommen. Ich war vier Tage lang für die Aufnahmen in München. Wir haben um zehn Uhr begonnen und gegen 16 Uhr waren wir meistens mit dem Tagespensum fertig.
 
Was war es dann für ein Gefühl, erstmals den ganz Film mit Ihrer Stimme zu erleben?
Das war sehr schön, aber auch irgendwie surreal. Ich bin ein sehr selbstkritischer Mensch, was mein künstlerisches Schaffen betrifft. Insofern konnte ich den Film beim ersten Anschauen noch nicht objektiv beurteilen. Doch inzwischen habe ich „Mary Poppins‘ Rückkehr“ schon drei Mal gesehen, auch mit Publikum. Das war toll, denn erst dadurch wurde mir so richtig klar, dass jetzt so viele Menschen im deutschsprachigen Raum meine Stimme hören. Darüber habe ich bei den Aufnahmen nicht nachgedacht – aber jetzt fühle ich mich wahnsinnig geehrt.
 


 
Können Sie sich vorstellen, auch in Zukunft Filmmusicals zu synchronisieren?
Absolut. Es hat sehr viel Spaß gemacht. Und Thomas Amper, der Aufnahmeleiter, sagte, dass er sehr gern wieder mit mir arbeiten würde. Ich konnte bei der Synchron-Arbeit auch etwas für die Bühne lernen. Denn ich merkte, wie viel ich aus der Stimmfarbe und aus dem Gefühl, das ich in jeden Satz hineinlege, noch herausholen kann. Darauf habe ich zuvor vielleicht nicht an jeder Stelle so sehr geachtet.  

Die nächste Stufe wäre es, in einem Filmmusical mitzuspielen, in dem man Sie auch sieht.
Das wäre natürlich ein Traum. Der Film interessiert mich genauso sehr wie die Bühne. Im Film kann man halt viel mehr auf Details achtgeben. Im Theater sieht man es ab der zehnten Reihe nicht mehr, ob ich mit einer Wimper gezuckt habe. Im Film aber, durch die Close-Ups, sehr wohl.
 
War es schon als Teenager Ihr Berufswunsch, Musical-Darstellerin zu werden?
Als Kind wollte ich Tänzerin werden, später Schauspielerin. Und schließlich Sängerin. Als Teenager habe ich das Musical entdeckt und dachte, wow, man kann das alles vereinen. Nach der Ausbildung gelang mir der Einstieg dann recht leicht: Ich wurde von Regisseur Niki List für die Musical-Fassung seines Films „Müllers Büro“ engagiert. Anschließend spielte ich im Ensemble an der Oper Graz und dann kam 2009 das Musical „Rudolf – Affäre Mayerling“ im Wiener Raimundtheater, in dem ich die Rolle der Baroness Mary Vetsera spielte. Es ging Schlag auf Schlag. Die Ausbildung war, glaube ich, ein härterer Kampf als nachher die Berufswelt.
 
Wirklich wahr?
Man darf die Musical-Ausbildung nicht unterschätzen. Es ist ein Dreikampf mit Gesang, Tanz und Schauspiel. Und es ist auch ein psychischer Kampf. Man muss sich vier Jahre oder noch länger immer wieder vor das kritische Auge der Lehrer und der Kollegen stellen, ohne bereits etwas vorweisen zu können, das einen berechtigen würde, auf der Bühne zu stehen. Das ist eine Konfrontation mit seiner eigenen Willensstärke – und mit seinen eigenen Schwächen. Es gab viel Arbeit und viele Tränen. Aber es hat sich ausgezahlt.



Kritik
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