James Gay-Rees
über die Winehouse-Doku „Amy“
„Amy war der menschgewordene Sturm“
19.07.2015
Interview:
Peter Beddies
„Amy“: Der Engländer James Gay-Rees ist der Mann im Hintergrund der gloriosen Doku, die derzeit weltweit die Amy-Winehouse-Fans im Kino begeistert. Im FilmClicks-Gespräch erzählt der Produzent, welche Detektivarbeit dahintersteckt, das exklusive Videomaterial für den Film zu finden. Und wie schwierig es war, der Künstlerin im Film gerecht zu werden: „Amy war eine Multi-Persönlichkeit. Wenn Sie mit zehn Leuten über sie reden, dann bekommen Sie zehn Meinungen.“ Gay-Rees hat freilich Erfahrungen mit publikumswirksamen Dokumentationen. Er war bei „Exit Through The Gift Shop“ (Oscar-Nominierung; Regie: der geheimnisvolle Künstler Banksy) und bei „Senna“ (über den Formel-1-Star; Regie: Asif Kapadia, der auch „Amy“ drehte) als Produzent an Bord.
FilmClicks: Wie hat das Projekt „Amy“ für Sie begonnen?
James Gay-Rees: Ich wurde von Universal gefragt, ob nicht das Leben von Amy Winehouse ein Thema für mich wäre. Das muss vor ungefähr drei Jahren gewesen sein. Die Doku „Senna“ war gerade überall auf der Welt sehr erfolgreich gelaufen. Und so ähnlich sollte auch dieses neue Projekt werden.
Warum wollten Sie den Film machen?
Ganz einfach. Weil man überall, egal wohin man blickt, die exakt gleichen Bilder von Amy sieht. Wir dachten uns, dass da noch mehr sein muss. Also haben wir uns auf die Suche begeben und sind erstmal für sechs Monate in Archiven verschwunden.
Dort muss man tonnenweise Material finden.
Man muss sich erst einmal durch diese Massen durchwühlen, bis man ein paar Schnipsel findet, die noch nicht jeder kennt. Uns war sehr schnell klar, dass wir keine der üblichen Dokus drehen wollten. Wir wollten nur Amy zeigen und dazu die Aussagen der Menschen zu Gehör bringen, die unser Regisseur Asif Kapadia befragt hat. Er ging mit den Leuten ganz allein in ein Tonstudio und hat ohne Kamera mit ihnen geredet. Lustig war, dass die meisten sagten, dass sie nur 20 Minuten Zeit hätten. Und nach sechs Stunden meinten, dass sie noch längst nicht alles erzählt hätten.
Wie leicht oder schwer war es, an Amys Bekannte, Freunde und erst recht ihre Familie heranzukommen?
Das war am Anfang das große Problem. Die meisten Menschen aus Amys Umfeld waren der Meinung, dass man sich zu oft über Amy lustig gemacht oder sich über sie erhoben hatte. Also gab es eine Art Vereinbarung, dass mit den Medien nicht gesprochen wird. Wir mussten diesen Leuten erst einmal klarmachen, dass wir anders sind und etwas anderes wollen.
Wie lange hat es gedauert, bis das Vertrauen hergestellt war?
Wissen Sie, man sieht diesen zwei Stunden im Kino natürlich nicht an, welche Mühen dahinter stecken. Aber wir haben teilweise mehr als ein Jahr gebraucht, bis enge Freunde von Amy bereit waren, mit uns zu reden. Über das Phänomen und den Menschen Amy war so oft abfällig geschrieben worden - besonders die englischen Medien hatten da ganze Arbeit geleistet - dass es sehr lange Zeit dauerte, dieses Vertrauen herzustellen.
Gab es jemanden, den Sie im Nachhinein als Schlüsselfigur für das Gelingen der Produktion sehen?
Auf jeden Fall. Das war Andrew, Amys Bodyguard. Wir hörten von vielen Leuten, dass sie nur mit uns reden, wenn Andrew mit uns spricht. Und als wir ihn dann trafen, wussten wir auch, warum. Andrew war einer der wenigen puren Menschen in ihrem Umfeld. Jemand, der nicht noch irgendetwas anderes im Schilde führte. Er wollte sie nicht zu noch mehr Konzerten drängen oder andere Sachen mehr. Als wir mit ihm gesprochen hatten, gingen plötzlich viele Türen auf. Und jeder, wirklich jeder kam mit den schönsten Amy-Erinnerungen an. Mal war es eine Geschichte, mal ein Foto oder ein Video. Bis hin zum Spruch auf dem Anrufbeantworter. Das war das persönliche Material, nach dem wir gesucht hatten, das wir aber erst sehr spät bekamen.
Amys Vater Mitch – das ist allgemein bekannt – spielte eine große Rolle in ihrem Leben. Wann stieß er zum Projekt?
Er war vom ersten Moment an dabei. Als wir im Büro bei Universal saßen und überlegten, was wir genau machen könnten, da saß er mit am Tisch. Wir hatten ihm versprochen, dass wir integer und seiner Tochter gegenüber fair sein würden.
Und was passiert dann?
Sie meinen, mit unserer Integrität? Die ist nach wie vor intakt
(lacht).
Warum hat Mitch denn das Projekt verlassen und redet jetzt schlecht über den Film?
Letzten Endes mussten wir eine Entscheidung treffen. Zehn Jahre im Leben der Amy Winehouse auf zwei Stunden im Kino eindampfen. Amy war eine Multi-Persönlichkeit. Wenn Sie mit zehn Leuten über sie reden, dann bekommen Sie zehn verschiedene Meinungen. Und einige von denen sind nicht wirklich angenehm zu hören für einen Vater. Also hat sich Mitch entschieden, bei seiner Version zu bleiben, wie er sie als Vater sieht – und uns gibt er die Schuld, ein falsches Bild zu zeichnen. Wir respektieren seine Meinung. Wissen aber auch, dass unser Film ein sehr differenziertes Amy-Bild zeichnet.
Was hat Sie am meisten überrascht an der Person Amy Winehouse?
Dass zwar jeder ein unterschiedliches Bild von ihr hatte, aber alle in einem übereinstimmten: Sie war der menschgewordene Sturm. Wenn sie jemand begeistern wollte für etwas, dann hat sie das auch geschafft. Hinterher waren alle der Meinung, dass man gerade die beste Zeit seines Lebens verbracht hatte.
Trauen Sie sich eine Meinung zu, was Amy Winehouse so fertig gemacht hat?
Da könnte man wunderbar spekulieren. Mein großer Vorwurf richtet sich vor allem an die englische Öffentlichkeit mit den Medien an ihrer Spitze. Da war diese hochtalentierte und sehr sensible Frau. Eine, die es nur aller paar Jahrzehnte mal gibt. Und was haben wir mit ihr gemacht? Statt sie zu ermuntern und zu loben, haben wir sie verspottet und zurückgestoßen. Vielleicht lernen wir daraus. Aber, um ehrlich zu sein, glaube ich das nicht.
Sie sind jetzt eine Weile mit dem Film gereist und tun es immer noch. Was war das schönste Kompliment?
Das haben wir in Frankreich bekommen. Beim Festival Cannes kam eine Frau zu uns und meinte: „Ich habe das Gefühl, für zwei Stunden Amys beste Freundin gewesen zu sein - und ich konnte sie nicht beschützen!“. Das entspricht exakt dem Gefühl, das wir in den letzten drei Jahren hatten.
Was die Musik betrifft, bekommen die Fans was sie wollen – alle Hits. Aber zum Beispiel „Valerie“ erst ganz zum Schluss. Wie haben Sie das entschieden?
Ganz einfach. „Amy“ ist kein Best-Of-Album. Wir wollten den Film aus ihrer Sicht machen. Und sie hat ihre Musik und besonders ihre Texte als Therapie verstanden. Als Therapie gegen das Leben, an dem sie oft gelitten hat. Insofern wird die Musik immer so eingesetzt, dass sie den Zuschauer zwar unterhält. Aber in erster Linie soll sie helfen, das Phänomen Amy zu erklären.