GESAMTEINDRUCK: „Free Solo“ ist eine faszinierende, oft nervenzerreißende und optisch stets spektakuläre Filmdoku über den bekanntesten Freikletterer der Welt, Alex Honnold - und über die Mission seines Lebens.
DIE STORY: Der Oscar-prämierte Dokumentarfilm „Free Solo“ begleitet den Amerikaner Alex Honnold bei der waghalsigsten Aktion seines Lebens: Er will die 975 Meter hohe Granitwand des El Capitan im Yosemite National Park hinaufklettern – ohne Seil und jedes technische Hilfsmittel. Für Honnold ist es ein Lebenstraum, für sein Umfeld eher ein Alptraum. Denn, wie es Alex' Kletterkollege Tommy Caldwell treffend formuliert: „Es ist, als wollte Alex die Goldmedaille im Freiklettern gewinnen. Allerdings gibt es keine Option auf Silber oder Bronze. Es gibt nur Gold – oder den Tod.“
DIE STARS: Der Kalifornier Alex Honnold ist der derzeit bekannteste Freikletterer der Welt. Im zarten Alter von fünf Jahren entdeckte er den Sport für sich, seit Abbruch seines Studiums widmet er sich hauptberuflich dem Klettern. Wenn er nicht gerade Wände erklimmt, lebt er in einem Van (obwohl er inzwischen auch ein Haus in Las Vegas besitzt). Seine Autobiografie „Allein in der Wand“ brachte ihm gleich doppeltes Glück – einen amerikaweiten Bestseller und seine Freundin Sanni McCandless, die ihm bei einer Signierstunde ihre Telefonnummer zusteckte (und auch in „Free Solo“ vorkommt). Nach dem El Capitan sucht er schon wieder nach neuen Kletter-Herausforderungen.
Filmemacherin Elizabeth Chai Vasarhelyi und ihr Kameramann und Ehemann Jimmy Chin sind Profis in ihrem Metier: Sie drehten mit „Meru“ bereits 2016 gemeinsam eine Bergsteigerdoku. Chin kennt den Adrenalin-Rausch, der Alex Honnold antreibt, auch aus eigener Erfahrung – er ist selbst leidenschaftlicher Kletterer.
DIE KRITIK: „Ich bin verrückt. Ein Fehler und es ist vorbei.“ Alex Honnold spricht selbst aus, was wohl nicht nur seinen Freunden während des gesamten Films durch den Kopf geht. Selbst im Kinosessel kommt man aus dem Kopfschütteln nur schwer heraus. Natürlich ist es selbst für einen Profi verrückt, ohne jede Absicherung einen glatten Granitfelsen hinaufzuklettern. Und natürlich ist es ebenso verrückt, das Ganze auch noch filmen zu wollen.
„Ich habe Angst, dass er heute stirbt“, gesteht ein Freund aus seiner Filmcrew vor der Kamera, als es im Yosemite National Park ans Eingemachte geht. Ein anderer hält sich bei einem besonders schwierigen Teil der Kletterpartie die Augen zu.
Spätestens seit der Oscar-Verleihung weiß zwar die ganze Welt, dass Alex die waghalsige, so mancher möge auch sagen leichtsinnige, Aktion bestens überstanden hat. Dennoch ist „Free Solo“ von der ersten bis zur letzten Minute eine nervenzerreißende, gleichzeitig aber auch schwer faszinierende Zitterpartie. Auf und vor der Leinwand.
Denn Alex, der besessene Kletterer, der jeden Berg, vor allem aber den El Capitan, über alles und jeden in seinem Leben stellt, ist nicht der verrückte Sonderling, für den man ihn vielleicht im ersten Moment halten könnte. Er ist eigentlich ein ziemlich sympathischer Typ. Gleich zu Beginn scherzt er bei einer Buchpräsentation, dass ihn der ständige Flirt mit dem Tod schon so manche Freundin gekostet hat. Die, die schließlich bleibt, ist Sanni McCandless, eine quirlige, bodenständige junge Frau, die ausgerechnet während der Dreharbeiten in sein Leben schneit. Auch Sanni kann Alex' Gedankengänge „nur schwer“ nachvollziehen, will ihm aber nicht im Weg stehen.
„Free Solo begleitet Alex bei den Vorbereitungen auf die Kletterpartie seines Lebens, bei unzähligen Probegängen, bei Besprechungen mit dem Filmteam.
Während die Crew offen darüber diskutiert, ob sie durch ihre Anwesenheit Alex nicht noch in zusätzliche Gefahr bringt (und was zu tun wäre, sollte er tatsächlich vor laufender Kamera in den Tod stürzen), unterzieht Alex sich einer MR-Tomographie. Er will herausfinden, warum er weniger Angst vor dem Tod hat als der Durchschnittsmensch. Je näher der Tag X rückt, umso mehr wird aber auch Alex von Selbstzweifeln geplagt. Er will sich seinen Lebenstraum erfüllen, sterben will er aber nicht. Auch wenn der Tod bei seinem Vorhaben ein durchaus realistisches Szenario ist.
Als Zuschauer kann man nicht anders, als unaufhörlich die Daumen zu drücken. Man muss kein Bergsteiger sein, um die Faszination, die der El Capitan auf Alex ausübt, zumindest ein bisschen nachvollziehen zu können. Man muss sich noch nicht einmal fürs Klettern interessieren, um bei den unglaublichen Panoramaaufnahmen, die Vasarhelyi und Chin mit der Kamera einfangen, unweigerlich Gänsehaut zu bekommen. Und es braucht auch nicht viel Fantasie, um sich in Sanni und Alex' Freunde hineinzufühlen, die seine lebensgefährliche Mission zwar einerseits völlig verrückt finden, Alex auf der anderen Seite aber auch bewundern.
„Free Solo“ ist vor wie hinter der Kamera ein 100-minütiger Adrenalinrausch, bei dem einem nicht nur einmal vor Schreck fast das Herz stehen bleibt. Und das trotz des bekannten Happy Ends. Alex selbst hat (zum Leidwesen seiner Freundin) bereits angekündigt, nach dem El Capitan noch mehr Rekorde aufstellen zu wollen. Der öffentliche Flirt mit dem Tod geht damit in die nächste Runde.
IDEAL FÜR: Fans von Alex Honnold, für Adrenalin-Junkies und Bergsteiger sowie für alle, die sich inspirieren lassen wollen, sich selbst ihren (vielleicht nicht ganz so riskanten) Lebenstraum zu erfüllen.