Fang den Haider

„Ich verstehe nichts von Politik...“


FilmClicks:
„Fang den Haider“: So fing alles an - der junge Jörg Haider hält eine Rede © Filmladen
DIE STORY: „Fang den Haider“. Wie war es möglich, dass so viele Österreicher dem rechten Demagogen Jörg Haider auf den Leim gingen? Wie ist es möglich, dass er auch heute noch Verehrer hat, obwohl ganz Österreich an Haiders Erbe – den Milliarden-Schulden der Hypo Alpe Adria – so schwer zu schlucken hat? 
Solchen Fragen geht Regisseurin Nathalie Borgers in „Fang den Haider“ nach. Aus Filmausschnitten der Haider-Ära und aktuellen Interviews mit Freunden und Feinden des Politikers entsteht ein sehenswertes Porträt.
Zwar gelingt es „Fang den Haider“ nicht, das Phänomen Haider wirklich einzufangen. Aber der Film enthüllt viele der (zum Teil recht billigen, wenn auch finanziell teuren) Tricks, mit denen der Populist auf Stimmenfang ging.
 
DIE STARS: Die Filmemacherin Nathalie Borgers, Jahrgang 1964, stammt aus Brüssel und hat Wien zu ihrem Wohnsitz gewählt. Hier drehte sie 2001 die Doku „Kronenzeitung, Tag für Tag ein Boulevardstück“.  Die Kosmopolitin bereiste für ihre (mehrfach ausgezeichneten) Dokumentationen aber auch viele andere Länder und Kulturen.
Jörg Haider, Jahrgang 1950, war der erste Politiker, der den Rechts-Populismus in Europa zum Massenphänomen machte. Am 11. Oktober 2008 starb er, schwer alkoholisiert, bei einem Crash am Steuer seines Autos.  

„Fang den Haider“: Hier hörte alles auf. Kerzen an der Haider-Unfallstelle © Filmladen

DIE KRITIK: 3.000 Kerzen. Vielleicht auch 4.000 Kerzen. Es sind jedenfalls Kerzen sonder Zahl, die zu Beginn von „Fang den Haider“ das Bild beherrschen.  Sie stehen dort, wo Jörg Haider starb. Und sie werden angezündet von Haider-Getreuen, denen düstere Theorien durch den Kopf geistern. „Es war Mord“, sagt eine Passantin über den Unfall. „Man hat ihm K.O.-Tropfen gegeben“, vermutet ein anderer.
Schnitt. Bald darauf erläutert eine Dame, dass Jörg Haider für die Kärntner der „Landeshauptmann der Herzen“ war. Warum? „Er hat immer zuerst an das Volk und dann an sich gedacht.“
Nathalie Borgers hat eine Vielzahl von Stimmen für ihr Haider-Porträt zusammengetragen. Man begegnet Großbäuerinnen mit Drei-Wetter-Taft-Sturmfrisur, die den ganz jungen Jörg förderten. „Der Haider war das beste Pferd“, formuliert die knorrige Kärntner FPÖ-Veteranin Kriemhild Trattnig.
Man hört alten Kriegern beim rechten Ulrichsberg-Treffen zu, die verbreiten, sie hätten „nicht für den Nationalsozialismus, sondern gegen den Kommunismus“ gekämpft. Haider war gern am Ulrichsberg zu Gast.
Dann wieder kommt der Ex-FPÖ-General Peter Westenthaler ins Bild – deutlich gealtert, aber immer noch schwer sonnengebräunt. „Haider brauchte die Zuneigung und das Bad in der Menge“, verrät er. Deswegen habe man seinerzeit in wahlfreien Jahren die FPÖ-Volksbegehren erfunden. Nicht wegen der Themen also. Sondern wegen des Egos des Chefs.
„Fang den Haider“ nähert sich seiner Hauptfigur auch privat. Da erfährt man dann, dass er mit schöner Stimme Volkslieder singen konnte. Und man hört von seiner Schwester Ursula Haubner, dass sie für ihn den Apfelstrudel immer ohne Rosinen buk. Denn Rosinen mochte er nicht, der Jörg.
Und der politische Jörg Haider? Der Demagoge, der Feind der Fremden, der Machtmensch mit dem Talent zum Begründen und Vernichten vieler Karrieren? Gewiss, auch der kommt im Film vor, genauso wie die Hypo Alpe Adria, mit der er Kärnten ins finanzielle Verderben ritt.
Doch Nathalie Borgers ist in ihrem Film eher Beobachterin als Analytikerin. Sie hat ein ansehnliches Mosaik geschaffen, das in vielen Facetten schillert, allerdings nicht wirklich in die Tiefe geht.
Zwei Szenen seien aber besonders erwähnt. In der einen sieht man, wie der spätere  Kanzler Wolfgang Schüssel im Parlament, außer sich vor Wut, Jörg Haider auf das Gröbste beschimpft. Kaum zu glauben, dass aus den beiden später Koalitionspartner wurden.

Ein Liedchen mit dem Chef: Meischberger, Rumpold, Haider, Riess-Passer © Filmladen

Die andere Szene ist zum Lachen und zum Weinen zugleich. Man erlebt FP-Funktionsträger wie Meischberger, Rumpold und Susanne Riess-Passer, die ihrem Parteichef ein Ständchen singen: „Ich verstehe nichts von Politik / Mit Geschichte hab‘ ich auch kein Glück / Mit Wirtschaftsfinanzen lasst’s mich in Ruh / Ich bin doch nur ein fescher Bua.“
Jörg Haider ist erfreut. Dann hält es ihn nicht länger auf seinem Sitz. Er springt auf die Bühne und singt die Zeilen in einem Da Capo mit: „Ich verstehe nichts von Politik“. Und so fort.  Hätte da nur jemand aufmerksam zugehört…
 
IDEAL FÜR: alle, die sich wieder einmal kritisch mit Jörg Haider auseinandersetzen wollen.






Trailer
LÄNGE: 90 min
PRODUKTION: Österreich / Deutschland 2015
KINOSTART Ö: 29.05.2015
REGIE:  Nathalie Borgers
GENRE: Dokumentation


BESETZUNG
Jörg Haider: er selbst