GESAMTEINDRUCK: „Die perfekte Kandidatin“ ist ein kurzweiliges, spannendes Porträt einer engagierten Ärztin aus Saudi-Arabien, das seltene Einblicke ins Leben und die alltäglichen Probleme von Frauen in dem patriarchalisch geprägten Land gibt.
DIE STORY: Die saudi-arabische Ärztin Dr. Maryam (Nora Al Awadh) hat es nicht leicht: Obwohl sie in ihrem Beruf zu den besten zählt, nimmt sie niemand ernst. Beruflicher Erfolg und eine eigene Meinung sind für Frauen in ihrem Dorf schlicht nicht vorgesehen. Doch aufgeben ist für sie keine Option. Weil keiner sich darum kümmert, endlich eine vernünftige Straße zum Krankenhaus zu bauen, wirbt Maryam selbst dafür und tritt spontan zur Wahl als Gemeindepolitikerin an – was ihre konservativen Mitbürger noch mehr auf die Barrikaden treibt.
DIE STARS: Haifaa Al Mansour ist in Saudi-Arabien eine echte Pionierin – keine Frau vor ihr hat je bei einem Film Regie geführt. Gleich mit ihrem Erstlingswerk „Das Mädchen Wadjda“, einer Coming-of-Age-Geschichte, in der sich die Hauptdarstellerin gegen konservative Rollenbilder in ihrer Heimat auflehnt, gelang Al Mansour 2012 ein internationaler Kritikererfolg. Mit „Die perfekte Kandidatin“ trat sie 2019 im Wettbewerb beim Festival Venedig an.
Hauptdarstellerin Nora Al Awadh ist in unseren Breiten ein gänzlich unbeschriebenes Blatt. Nach ihrem brillanten Debüt bleibt zu hoffen, dass man sie künftig noch öfter im Kino sieht.
DIE KRITIK: Wie lebt es sich als Frau in einem konservativen Land wie Saudi-Arabien? Gleich der Beginn von „Die perfekte Kandidatin“ lässt nichts Gutes erahnen. Dr. Maryam (Nora Al Awadh), jung, engagiert, ein Vollprofi in ihrem Metier, will einen Patienten von seinen Schmerzen befreien. Doch der weigert sich, sich von einer Frau behandeln zu lassen. Ein männlicher Krankenpfleger muss her, selbst wenn dem jegliches Fachwissen fehlt.
Der Alltagssexismus setzt sich fort, als Maryam zu einer Konferenz nach Dubai fliegen will. Um ausreisen zu dürfen, bräuchte sie eine schriftliche Genehmigung eines männlichen Vormundes. Doch weil weder der Vater (tourt gerade mit seiner Band durchs Land) noch ein Cousin erreichbar sind, ist für sie am Schalter Endstation. Unverstellbar in unseren Breiten, in Saudi-Arabien jedoch ganz normaler Alltag. Maryams Kampflust ist dennoch ungebrochen. Wenn es schon mit Dubai nicht klappt, will sie in ihrem Dorf Politkarriere machen.
Was folgt, ist ein Wahlkampf zwischen bunten Schmetterlingen (kopiert von einem amerikanischen Youtube-Video), offenen und versteckten Feindseligkeiten, vorsichtigen Sympathiebekundungen und vor allem vielen Einblicken in eine Welt, die sich für Europäer doch äußerst fremd anfühlt.
Maryam und ihrer Schwester gelingt es, eine Halle mit Unterstützerinnen zu füllen. Ihre Stimme wollen sie der Ärztin aber trotzdem nicht geben, aus Angst vor ihren Ehemännern. Reichlich skurril mutet auch an, dass Maryam ihre eigene Wahlveranstaltung vor Männern nicht besuchen darf. Und dann ist da noch eine TV-Show, in der der (männliche) Gastgeber sichtlich irritiert ist, weil die Politikerin in spe über ihr Krankenhaus anstatt über Gärten und Spielplätze reden will. Maryam, eigentlich eher unabsichtlich in die Politik gestolpert, wandelt sich schnell zur selbstbewussten Rednerin, die den Frauen in ihrem Spital, ihrem Dorf und wohl auch so mancher Zuschauerin in ihrer Heimat Hoffnung gibt.
Dazu dürfen wir durchs Schlüsselloch schauen, was sich hinter den verschlossenen Türen in Saudi-Arabien so abspielt. Da sieht man etwa eine ausgelassene Gruppe von feiernden Frauen, die sich zu Dutzenden auf Kommando des Hochzeitssängers den Schleier aufsetzt, als der Bräutigam auftaucht. Und Maryams Vater und seine (von der Regisseurin spontan zusammengecastete) Musikertruppe geben einen Crashkurs in Sachen arabisches Liedergut.
„Die perfekte Kandidatin“ ist ein Porträt einer starken Frau, spiegelt gleichzeitig aber auch den gesellschaftlichen Wandel wider, der sich derzeit in Saudi-Arabien vollzieht. Da in die Produktion auch staatliche Mittel von ebendort geflossen sind, darf man sich nicht allzu viele kritische Töne erwarten. Dennoch ist Regisseurin Haifaa Al Mansour ein höchst spannender Film gelungen, der es uns erlaubt, für 100 Minuten in eine völlig andere Welt einzutauchen.
IDEAL FÜR: Fans von starken Frauen und allen, die Lust haben, neue Kulturen filmisch zu entdecken.