Das Leben ist keine Generalprobe

Heini Staudinger und wie er die Welt sieht


FilmClicks:
„Das Leben ist keine Generalprobe“: Heini Staudinger ist stets für starke Sprüche gut © Polyfilm
DIE STORY: „Das Leben ist keine Generalprobe“  ist eine eindrucksvolle Doku über den Schuh- & Möbelfabrikanten und Querdenker Heini Staudinger, der seine „Waldviertler“-Schuhe in einer der letzten Schuhfabriken Österreichs in Schrems herstellt, der seine Ware in den eigenen GEA-Läden verkauft – und der in den vergangenen Jahren zum Rebellen ernannt wurde.  
Rebell? Staudinger machte ab 2012 Schlagzeilen durch einen Konflikt mit der Finanzmarktaufsicht (FMA), die das Finanzierungsmodell seiner Firma nicht akzeptieren wollte. Weil ihm die Hausbank Kredite verweigerte, beschaffte er sich notwendige Mittel für die Firma durch Darlehen privater Geldgeber. Die FMA witterte hier verbotene Geschäfte, die rechtmäßig allein den Banken vorbehalten seien.
Regisseurin Nicole Scherg begleitete Staudinger und sein Team über viele Monate: In der Fabrik, im Gespräch mit Kunden und Lieferanten, bei öffentlichen Auftritten oder auf Reisen.
Eine wichtige Sequenz widmet sich Staudingers Auseinandersetzung mit der  FMA, die während der Dreharbeiten  ausbrach – fast so, als wäre sie als Spannungselement für den Film bestellt worden.
Man begegnet aber auch dem privaten Heinrich Staudinger und seinen wichtigsten Gefährten: Der Co-Geschäftsführerin Sylvia Kislinger etwa, die sich mit größter Liebe zum Detail um Design- und Stilfragen kümmert. Oder dem steirischen Grafiker, Autor und Denker Moreau, der dem GEA-Firmengeflecht den „Brennstoff“ liefert:  Eine regelmäßig erscheinende Gazette voller kluger Gedanken über die Welt und das Leben.

Kreatives Chaos: Heini Staudinger an seinem Schreibtisch © Poly

DIE STARS: Heinrich „Heini“ Staudinger, 63, begann 1980 damit, in einem Laden in Wien Schuhe zu verkaufen. Daraus wuchs im Laufe der Zeit ein kleiner Konzern der alternativen Art. Obwohl die europäische Schuhindustrie den Kampf gegen die Billig-Konkurrenz aus Fernost längst verloren hat, baute er seine „Waldviertler Schuhwerkstatt“ in Schrems auf mittlerweile 250 Mitarbeiter aus. Auch Betten, Matratzen und Accessoires gehören zum GEA-Angebot, das international eine große Fangemeinde hat.
Regisseurin Nicole Scherg legt mit „Das Leben ist keine Generalprobe“ ihre erste abendfüllende Dokumentation vor. Die gebürtige Würzburgerin, die seit 2005 in Wien lebt, arbeitete zuvor in verschiedenen Funktionen an Filmen der Wiener NGF Nikolaus Geyrhalter Filmproduktion, die auch den Staudinger-Film produziert hat.
 
Unterwegs: Heini Staudinger zu Besuch in Afrika © Polyfilm

DIE KRITIK: „Mich interessiert das Kapital wenig und das Leben sehr“, sagt Heinrich „Heini“ Staudinger. Oder: „Alle Krisenregionen dieser Erde sind Traumregionen für Pioniere“.  Oder: „Meine University of Economics war die Greißlerei meiner Eltern.“
Man sieht: Der Mann mit dem Wuschelkopf und einer Vorliebe für signalrote Textilien ist stets für starke Sprüche gut, die von eigenwilligen Thesen begleitet werden. Das macht ihn zu einem begehrten Redner, dem die Zuhörer gebannt an den Lippen hängen.  Und das macht ihn natürlich auch zum idealen Protagonisten  für einen Dokumentarfilm. So lange Staudinger in „Das Leben ist keine Generalprobe“ im Bild ist (und das ist er fast immer), herrscht auf der Leinwand Hochbetrieb.
Regisseurin Nicole Scherg sorgt aber mit einem geschickten Schachzug dafür, dass aus der Doku kein 90-minütiges Furioso wird. Sie arbeitet mit langen Einstellungen. Sie lässt dem Zuschauer Zeit, sich auf die Umgebung, in der eine Szene spielt, einzustellen – sei es in der Natur, in der Fabrik oder anderswo.
So hat die Schuh-Doku einen schönen Rhythmus erhalten, der die Substanz der Worte und der Bilder zu voller Wirkung kommen lässt.
Man bekommt vorgeführt, wie viel Arbeit und Fachwissen dahinter steckt, einen guten Schuh zu produzieren. Man erhält Einblicke in die Erfolge und die Probleme eines Unternehmens, das sich mit einem alternativen Geschäftsmodell auf dem Markt etabliert hat. Man spürt den verschworenen Zusammenhalt einer Belegschaft, bei deren Arbeit es nicht nur ums Geld geht, sondern auch um Daseinsfreude und um den Sinn.
Doch im Zentrum des Films steht natürlich Heini Staudinger, der das Leben nicht als Generalprobe versteht, sondern als immerwährende Premiere, deren Ausgang durchaus ungewiss sein kann.
Es bereitet großes Vergnügen, diesem hochbegabten Wortkünstler zuzuhören,  dessen Pointen immer einen ernsthaften Unterbau haben. Regisseurin Scherg erliegt aber nicht der Gefahr, ihren Protagonisten filmisch anzuhimmeln. Sie lässt Staudinger sprechen. Sie lässt ihn seine Gedanken zum Leben, zur Wirtschaft und zum Wirtschaftsleben ausformulieren. Und sie lässt dem Zuschauer durch den ruhigen Atem des Films genug Zeit, das Gehörte zu reflektieren.
So ist „Das Leben ist keine Generalprobe“ eine fesselnde Dokumentation geworden über eine Gruppe von Menschen und ihr ganz eigenes Wirtschaftsmodell, das in krassem Gegensatz steht zur Turbo-Profitmaximiererei unserer Zeit.
Dass dieses Modell in der Praxis funktioniert, macht Freude. Und Hoffnung. Und leitet vielleicht den einen oder anderen Beginner dazu an, es auf ähnliche Weise zu versuchen.
 
IDEAL FÜR: Freunde hochklassiger Dokumentarfilme – und natürlich für  die vielen Fans von Heini Staudinger, seinen Ansichten und den Produkten, die er fabriziert.






Trailer
LÄNGE: 90 min
PRODUKTION: Österreich 2016
KINOSTART Ö: 08.04.2016
REGIE:  Nicole Scherg
GENRE: Dokumentation
ALTERSFREIGABE: jugendfrei


BESETZUNG
Heinrich Staudinger: er selbst

Interview
„Auch das Leben hat Regie geführt“
Der Schuhfabrikant und Finanzrebell Heini Staudinger berichtet im FilmClicks-Gespräch über seine ganz persönlichen Ansichten zum Thema Wirtschaft, die ihn zur Zentralfigur des Dokumentarfilms „Das Leben ist keine Generalprobe“ gemacht haben. Mehr...