DIE STORY: „Amy“ setzt der vor vier Jahren viel zu früh verstorbenen Ausnahme-Sängerin Amy Winehouse ein mehr als würdiges Denkmal.
Die Doku ist schon jetzt ein Anwärter auf eine Oscar-Nominierung. Der Film widmet sich in vielen persönlichen Aussagen und mit bisher nicht gezeigtem Videomaterial sowohl der Künstlerin als auch dem Menschen Amy Winehouse. Der Filmemacher Asif Kapadia blickt geschickt hinter all die Masken und stellt die Frage, warum ein so talentierter Mensch so früh sterben musste.
DIE STARS: „Amy“ gehört natürlich nur einer einzigen Person: Amy Winehouse. Regisseur Asif Kapadia war schlau genug, den Fans genau das zu geben, was sie in solch einem Film wollen. Nur für wenige Sekunden ist die Hauptperson mal nicht im Bild. Wir können ihren Weg im Alter von 14 bis 27 Jahren mitverfolgen.
Es ist der Teenager zu sehen, den es mit Macht zur Musik zieht. Ebenso wie die junge Frau, die schnell Erfolg hat. Die sich von falschen Freunden beraten und zu Drogen und Alkohol verleiten lässt. Am Ende ist sie die traurige Person, als die sie in die Musikgeschichte einging. Aber über weite Strecken des bewegenden Films ist sie fröhlich, ausgelassen, neugierig auf das Leben. So hat man Amy Winehouse noch nie gesehen.
DIE KRITIK: Der Londoner Regisseur Asif Kapadia hat vor einiger Zeit mit „Senna“ überrascht, einem Film über den legendären brasilianischen Formel-Eins-Rennfahrer. Das Besondere an diesem Film: Kapadia verzichtete auf die oft in Dokus üblichen „talking heads“. Zu sehen war der Mann, den er porträtieren wollte.
Dieses Prinzip übernahm Kapadia nun auch für seinen Film über Amy Winehouse. Das filmische Denkmal kommt dankenswerterweise ohne sprechende Köpfe aus. Zwar hat der Filmemacher mit vielen Familienangehörigen und Freunden gesprochen. Aber man hört sie nur, man sieht sie nicht. Vom ersten Bild an ist vor der Kamera nur ein Mensch präsent: Amy.
Kapadia steigt mit einer genialen Szene in den Film ein. Wer sich schon immer mal fragte, ob Amy Winehouse bereits von klein auf außergewöhnlich singen konnte oder es erst später lernte: Hier findet sich die Antwort. In einem Homevideo erklärt ein Mädchen, dass sie ihren 14. Geburtstag feiert. Daraufhin setzt „Happy Birthday“ ein. Nach zehn Sekunden schält sich die Stimme einer Freundin heraus und dominiert den Gesang: Amy, wie sich schon als 14jährige am wohlsten fühlte – wenn sie singen konnte.
Überhaupt: Amy und ihre Musik. Dort liegt nach Ansicht von Asif Kapadia alles, was man braucht, um diesen Menschen zu verstehen. Er hat sich intensiv mit ihren Songs, ihren Texten – die fast alle von Amy selbst stammten – beschäftigt und kam irgendwann auf die Idee, dass man diese Texte visualisieren muss.
All die großen Hits sind im Film natürlich zu hören. Aber nicht als Unterhaltungs-Gimmick. Die Texte sind immer zu lesen, wenn die Hits erklingen und damit wird deutlich, in welcher Situation sie welches Lied warum schrieb.
Amy Winehouse, der ständig an sich leidende, der traurige Star – bis hin zum tragischen Auftritt in Belgrad, als sie ihren Text vergaß und sich ans Mikro klammerte. Diese Bilder gingen um die Welt. Jeder dürfte sie kennen. Asif Kapadia schlachtet sie nicht ein weiteres Mal aus. Vielmehr geht es ihm darum, nachzuforschen, wie aus dem fröhlichen, von Musik besessenen Mädchen diese melancholische, Alkohol und Drogen in sich stopfende Frau werden konnte.
In vielen Gesprächen wird deutlich, welch zarte und empfindliche Seele Amy war und dass ihre Eltern – der Vater Mick hatte erst beim Film mitgemacht, sich später aber distanziert – sich nicht genug um sie gekümmert haben.
Auch die Medien werden nicht geschont. Immer wieder zeigt Kapadia, wie Reporter und Paparazzi Amys Haus in London belagerten. Wie Amy sich in eine Wand aus Blitzlicht-Gewitter begeben musste, wenn sie mal das Haus verlassen wollte.
Ein starker Film voller wunderbarer Musik, die man immer noch genießen kann. Jetzt aber sicher anders hört.
IDEAL FÜR: Fans von Amy Winehouse, Musikliebhaber und Menschen, die wissen wollen, wie die allgegenwärtige Medienpräsenz einen Menschen fertigmachen kann. So hat man noch keinen Star im Blitzlicht-Gewitter leiden sehen.