GESAMTEINDRUCK: Ein edel gefilmtes Hybrid aus Horror und Dystopie: „Wir“ von Jordan Peele ist ein Film, der sich nicht so recht entscheiden kann, wohin die Reise gehen soll.
DIE STORY: „Wir“ beginnt im Jahr 1986. Die kleine Adelaide ist mit ihren Eltern am Strand, in einem Vergnügungspark. Als sie gelangweilt vor ihrem Vater davonläuft, stößt sie auf ein mysteriöses Spiegelkabinett. Dort steht sie plötzlich vor einem Mädchen, das genauso aussieht wie sie selbst. Aber Adelaide hat keine Zwillingsschwester. Schnitt in die heutige Zeit. Adelaide Wilson (jetzt: Lupita Nyong’o) fährt mit Mann und zwei Kindern zur Erholung an den Strand. Doch eines Nachts steht wieder das Wesen aus der Kindheit vor ihr. Und es hat drei Leute mitgebracht, die exakt so aussehen wie Adelaides Mann und ihre Kinder. Die große Frage: Was ist da los?
DIE STARS: Regisseur Jordan Peele, der für seinen Horrorfilm „Get Out“ 2018 den Drehbuch-Oscar gewann, geht mit Stars wieder eher sparsam um. Den bekanntesten Namen trägt Lupita Nyong’o („Star Wars“; Oscar für „12 Years A Slave“). Elisabeth Moss, die eine Nachbarin spielt, ist durch TV-Serien wie „The Handmaid`s Tale“ und „Mad Men“ zum Star geworden. Aber ansonsten setzt Peele auf frische und unverbrauchte Gesichter.
DIE KRITIK: „Wir“ sei das nächste große Ding des Jordan Peele – ein würdiger Nachfolger seines Hits „Get Out“. So tönte es nach den ersten Vorführungen in den USA im Netz. Wer sich im Fantasy-Bereich nicht gut auskennt, könnte diesen Kritikern rechtgeben.
„Wir“ ist packend erzählt. Der Film macht mit seiner irre schön gefilmten Einführung (mit sehr vielen Kaninchen und Tunneln) und seinem betont entspannten Erzähl-Rhythmus schnell klar: Das ist keine alltägliche Horrorkost. Hier ist ein innovativer Geist am Werk, der das ganz große Rad drehen will. Das tut er auch. Aber er scheitert am eigenen Anspruch. Zwar auf sehr hoher Ebene. Aber Peele scheitert.
Dass Ideenklau nicht strafbar ist, gilt beim Film seit vielen Jahrzehnten als Gesetz. Jordan Peele kommt auf eine originell klingende Idee, die allerdings nicht neu ist. Den Grundkonflikt entlehnt er bei einer der ganz Großen der Fantasy-Literatur: Ursula K. Le Guin. In ihrem Hauptwerk „Erdsee“ muss sich der Held Ged seinem Schatten stellen und gegen ihn kämpfen.
Genau so ergeht es Adelaide und ihrer Familie in „Wir“. Die Eindringlinge, die sich nachts Zutritt zu ihrem Haus verschaffen, sind – ohne zu viel vom Film zu verraten – die Schatten der Menschen. Nun sind sie aus ihrem Reich gekommen und wollen…
„Wir“ spart nicht mit den horrorüblichen Gewaltausbrüchen. Während „Get Out“ von einem tiefschwarzen Humor durchzogen war, wechselt Peele dieses Mal mehrere Male das Genre. Erst Drama, dann Horror, Home-Invasion und Mystery. Auch ein Hauch Dystopie liegt über dem Ganzen. Der Film funktioniert über seine knapp zwei Stunden hinweg sehr ordentlich. Immer wieder gibt es Überraschungen. Der Musik-Einsatz ist zum Teil grandios.
Aber irgendwann macht sich Jordan Peele – im Gegensatz zu großen Film-Denkern wie Stanley Kubrick – daran, seinen Film zu erklären. In diesen Szenen wird es völlig banal. Und am Ende gibt es einen Twist, der noch das letzte Stückchen Handlung erklären soll. In Wahrheit macht das diesen sehr gut gemeinten Film leider kaputt.
IDEAL FÜR: Horror-Fans, die mal etwas anderes sehen wollen als die übliche Schlachteplatte.