DIE STORY: „Mustang“ ist ein hinreißender Film über fünf Schwestern aus der türkischen Provinz, die mit einem harmlosen Vergnügen einen Skandal auslösen. Am letzten Schultag tollen die Teenies in der Schuluniform im Meer herum. Auch einige Jungs sind dabei.
Die Familie der Schwestern (sie wachsen nach dem Tod ihrer Eltern bei einem Onkel auf) findet den Badespaß freilich überhaupt nicht lustig. Von Schamlosigkeit ist zürnend die Rede; von schwerer Unmoral. Die Konsequenzen sind beinhart. Die Mädchen müssen die Schule verlassen und werden daheim mehr oder minder eingesperrt. Alle Fenster bekommen Gitter. Die Hausmauern werden erhöht.
Die Mädchen dürfen nicht mehr raus aus dem Haus, das zur „Ehefrauenfabrik“ mutiert: sie bekommen strengen Benimm- und Kochunterricht. Linkische Jungs machen als Kandidaten zur Zwangsverheiratung ihre Aufwartung. Der Freiheitsdrang der Mädchen wird der Reihe nach gebrochen. Doch ausgerechnet die Jüngste, die vielleicht 13-jährige Lale (Günes Sensoy), plant mit großer Entschlossenheit und erstaunlicher Reife ihren Ausbruch aus diesem Käfig einer schrecklichen, verstockten und von Zwängen beherrschten Moral.
DIE STARS: Keine Stars. Die jungen Hauptdarstellerinnen sind großteils Neulinge vor der Kamera. Doch sie spielen mit so viel Wucht und Frische, als wären sie schon ewig in der Filmszene dabei.
Die Regisseurin und Autorin Deniz Gamze Ergüven stammt aus Ankara, wuchs aber polyglott zwischen der Türkei, Frankreich, Südafrika und den USA auf. „Mustang“ ist ihr erster Spielfilm, und der machte international Furore. Nach der Weltpremiere im Mai 2015 beim Festival Cannes erhielt das Drama Nominierungen für den Golden Globe und den Oscar als bester fremdsprachiger Film.
DIE KRITIK: „Mustang“ ist ein Film, der mit vielen Vorurteilen aufräumt, die in unseren Breiten über den konservativen Patriarchen-Staat Türkei bestehen. Um dann in anderen Szenen zu zeigen, dass für junge Frauen das Leben in der religiös verschwitzten, lustfeindlichen und zugleich sexuell aufgeladenen Atmosphäre des Landes noch viel schlimmer sein kann, als man sich das hierzulande vorzustellen vermag.
Die fünf Schwestern, die im Zentrum des Geschehens stehen, sind jedenfalls keine eingeschüchterten Kopftuch-Trägerinnen. Ganz im Gegenteil: Diese Teenies sind unbekümmert, neugierig, smart und obendrein bildschön mit ihren langen Mähnen. Sie haben eine Riesenlust aufs Leben – und müssen dann auf die ganz harte Art feststellen, dass das puritanische Imperium zurückschlägt.
Einfach so mit ein paar Jungs am Strand Spaß haben? Für diesen, äh, Frevel werden die Schwestern ihrer Freiheit und ihrer Bildungschancen beraubt. Ihre lässigen Outfits müssen sie ablegen. Statt dessen werden sie in „kackbraune Kleider“ gezwängt, die auch die strahlendste Schönheit zum Mauerblümchen machen.
Eine Zeitlang versuchen die Girls, sich zu wehren – mit Erfolg. Sie entdecken Mauerlücken, die ihnen kurzfristig die Flucht aus dem familiären Gefängnis ermöglichen. Eine der Älteren nutzt die Gelegenheit zum Schmusen. Die Jüngste will unbedingt zu einem Erstliga-Fußballspiel, bei dem nur Frauen im Publikum zugelassen sind (so etwas hat es in der Türkei tatsächlich schon gegeben).
Die Sympathien des Publikums gehören von der ersten Minute an diesen wilden, fröhlichen Gören, die im Grunde nur Selbstverständlichkeiten vom Leben fordern: Freiheit und die Chance, selbstbestimmt über ihren Weg zu entscheiden. Wenn die weiblichen Mustangs dann später gefangen, dressiert und ins moralinsaure Unglück geschickt werden, möchte man am liebsten auf die Leinwand klettern, um ihnen beizustehen.
Die Szenen, in denen die Altvorderen ihre mausgraue Form von Anstand und Moral durchsetzen, sind beklemmend. Und besonders beklemmend ist die Tatsache, dass nicht nur die Männer den Mädchen ihren Lebensweg verstellen, sondern auch die älteren Frauen. Stets eingewickelt in die kackbraunen Kleider, die die Schwestern so hassen, wirken sie mit großem Eifer dabei mit, die Mädchen in Zwangsehen und ewiges Unglück zu treiben.
Die Filmemacherin Deniz Gamze Ergüven inszeniert dieses Drama mit dem gleichen Feuer, das auch ihre jungen Progatonistinnen auszeichnet. „Mustang“ ist ein sinnlicher, sehnsüchtiger, wütender und manchmal auch hoffnungsvoller Film, der einen 97 Minuten lang in Atem hält. Dass ausgerechnet die kleinste der fünf Schwestern am vehementesten darauf drängt, sich den Regeln der Patriarchen zu widersetzen, ist eine Pointe, die Hoffnung macht.
IDEAL FÜR: FilmfreundInnen, die in einem höchst emotionalen und auch unterhaltsamen Kinodrama erfahren wollen, wie schwierig es für Frauen sein kann, in der patriarchalischen Welt des Islam ihre eigenen Vorstellungen vom Leben durchzusetzen.